© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

„Der Präsident ändert die Richtung“
Brasilien: Ist Bolsonaro Opfer eines Komplotts geworden? / Regierungskrise im Tropenland weitet sich aus
Wolfgang Bendel

Der ehemalige brasilianische Justizminister Sérgio Moro gab kurz nach seinem Rücktritt (JF 20/20) bekannt, daß er seine Unterredungen mit dem Präsidenten Jair Bolsonaro aufgezeichnet habe. Er sei bereit, bei der Bundespolizei auszusagen, daß verschiedene Handlungen des Präsidenten rechtswidrig gewesen seien. Ein Vorhaben, das er inzwischen in die Tat umsetzte. Dieses Verhalten eines Ex-Ministers ließ den Verdacht aufkommen, es handele sich um eine Intrige. Ein Beobachter der Szene sprach davon, daß Moro von Anfang an „ein Feind in Bolsonaros eigenem Schützengraben war“.

Ein einflußreicher Offizier der Militärpolizei (PM), der nicht genannt werden will, wertete das Gebaren Moros und seiner Verbündeten nicht als Verschwörung. „Es ist eine Folge eines Wandels in der Regierungspolitik.“ Streitpunkt sind Maßnahmen gegen Kriminalität, bei denen Bolsonaro hinter seine ursprünglich gemachten Versprechungen zurückfalle. Sérgio „Major“ Olímpio Gomes, einflußreicher Senator für São Paulo und bislang Bolsonaros Mitstreiter, äußerte sich enttäuscht: „Bolsonaro änderte die Richtung, und ich soll es sein, der ihn verrät?“ Noch im Juli 2019 lobte Olímpio in der JUNGEN FREIHEIT den Präsidenten (JF 32/19). Der PM-Offizier gibt zu bedenken, daß es Bolsonaro vielleicht darum gehe, „das Leben der Söhne zu erleichtern, gegen die ermittelt wird“.

Kaum zu erwarten ist, daß die linke PT und Ex-Präsident Lula da Silva profitieren werden. Dieser wurde im Fall des Landsitzes Atibaia in zweiter Instanz wegen Korruption verurteilt. Er soll von Bauunternehmen die Renovierung des Anwesens angenommen und den Firmen dafür Vorteile bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verschafft haben. Im Schatten dieser Zerwürfnisse stürzt das Land tiefer in die Corona-Wirtschaftskrise. So stufte kürzlich die Rating-Agentur Fitch ihre Risikoeinschätzung für das südamerikanische Land von stabil auf negativ herab. Gleichzeitig senkte die Zentralbank die Zinsen auf 2,9 Prozent, einen historisch niedrigen Stand. Ergebnis ist, daß der brasilianische Real rasant an Wert verlor. Der Verlust liegt bei 42 Prozent innerhalb eines Jahres.

Auch der Oberste Gerichtshof unternimmt alles, um Bolsonaros Leben zu erschweren. Zuletzt blockierte das Gericht dessen Anordnung, 34 venezolanische Diplomaten des Landes zu verweisen. Ein Beschluß, der von vielen politischen Kommentatoren negativ bewertet wurde, da solche Entscheidungen eigentlich der Exekutive vorbehalten sind.