© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

„Ein schönes Glas Wein“
Corona-Krise: Bau-, Chemie- und Pharmabranche nicht betroffen / Nintendo-Hype
Christian Schreiber

Von der AfD über die FDP, den CDU-Wirtschaftsflügel und Unternehmerverbände bis hin zur Mehrheit der Ministerpräsidenten – sie alle eint die Forderung nach einem Ende des Shutdowns. Und sie haben Argumente: 58 Prozent der Gastronomiebetriebe, 50 Prozent der Hotels, 43 Prozent der Reisebüros und 39 Prozent der Firmen in der Autobranche haben schon im April Beschäftigte entlassen oder befristete Verträge nicht verlängert.

Gleiches gelte auch für 57 Prozent der Leiharbeitsunternehmen, 48 Prozent der Hersteller von Leder, Lederwaren und Schuhen oder 30 Prozent der Druckereien, warnt Klaus Wohlrabe, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen. Besonders dramatisch sei es in Baden-Württemberg und Bayern, wo 22 bzw. 20 Prozent der Firmen aller Branchen Kündigungen ausgesprochen haben. In Mitteldeutschland sowie Rheinland-Pfalz und dem Saarland waren es nur 14 bzw. elf Prozent.

Doch auch in Corona-Zeiten gibt es gute Nachrichten. In der pharmazeutischen und der chemischen Industrie ist von Massenentlassungen keine Rede. Und mit 203 Milliarden Euro Umsatz ist es die drittgrößte deutsche Industrie­branche. Auch auf dem Bau läuft es. Und die alljährliche Studie „Trusted Brands“ von Reader’s Digest gibt auch coronabetroffenen Branchen Hoffnung: „Made in Gemany“ steht nach wie vor hoch im Kurs. Insgesamt nannten im Rahmen der Studie 3.603 befragte Deutsche verschiedene Marken über 22 Produktkategorien hinweg, die sie „Freunden oder Familie weiterempfehlen würden“.

Dazu zählen nicht nur Miele, Edeka oder die Sparkasse. Trotz Tesla-Hype und „Dieselgate“ führt VW weiter die Autorangliste vor BMW und Mercedes an. Bei Mineralwasser (Gerolsteiner) oder Bier (Krombacher) liegen deutsche Hersteller ebenfalls an der Spitze. Auch der Darmstädter Bio-Lebensmittelproduzent Alnatura wird besonders positiv bewertet. Nur im Smartphonebereich geht an Apple und Samsung kein Weg vorbei. Und in Krisenzeiten werde sich der „Trend zu Altbewährtem eher noch verstärken“.

Eine Prognose ist derzeit „seriös nicht möglich“

Wer sich nach einem Wiederhochfahren der Wirtschaft die beliebten Markenprodukte kaufen kann, ist aber fraglich. Wie das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Postbank ermittelte, erreichen die staatlichen Milliardenhilfen Hunderttausende Betroffene nicht. 2,6 Prozent der vor der Corona-Krise Beschäftigten würden derzeit existenzbedrohende finanzielle Verluste erleiden. Mehr als 3,5 Prozent müssen „erhebliche finanzielle Einbußen“ hinnehmen und 14,4 Prozent leichte Rückgänge. Insgesamt, so die Kantar-Forscher, muß ein Viertel der Bevölkerung mit weniger Geld als vor dem Shutdown auskommen. Überdurchschnittlich betroffen sind demnach Familien sowie 30- bis 39jährige.

Andererseits gibt es Branchen, die man getrost zu den Krisengewinnlern zählen darf. So erlebt der seit Jahren kriselnde japanische Spielkonsolenhersteller Nintendo ein kaum für möglich gehaltenes Comeback. Das aktuelle Modell „Nintendo Switch“ ist seit Beginn der Corona-Krise weltweit ausverkauft. Auf den Kleinanzeigenportalen wird das Gerät gebraucht zu höheren Preisen gehandelt als Neuware im Versandhandel, der wiederum mit langen Lieferzeiten zu kämpfen hat. Die Nintendo-Aktie hat ebenfalls deutlich zugelegt. Das gleiche Bild zeigt sich beim Videospiel-Hersteller „Electronic Arts“, der stark steigende Absatzzahlen vermeldet.

Der dänische Weinversand „Winejump“ meldet einen wöchentlichen Zuwachs von 15 Prozent an Produzenten, die sich auf seinem Portal registrieren. Dabei war es bei Weinliebhabern bislang verpönt, Ware im Netz zu bestellen. „Wir profitieren davon, daß die Menschen nicht unterwegs sind und in Restaurants oder Bars ein schönes Glas Wein genießen können“, sagt Christian Fricke, Geschäftsführer des Onlineshops Wine in Black. Der Amazon-Konkurrent Otto hatte schon 2019 eine Umsatzsteigerung um neun Prozent auf 3,5 Milliarden Euro vermeldet. Doch der Hamburger Konzern gibt sich bescheiden: Eine Prognose, ob sich die Zahlen im laufenden Geschäftsjahr ähnlich positiv entwickeln, sei derzeit „seriös nicht möglich“.

Dräger-Aktionäre sind da optimistischer: Der Lübecker Hersteller von Anästhesie- und Beatmungsgeräten, Patientenmonitoren und Atemschutzmasken hat innerhalb eines Jahres einen Kursgewinn von 46 Prozent verzeichnet. Das Unternehmen kann sich die Aufträge mittlerweile aussuchen und muß sogar viele absagen. Wo einerseits Existenzangst herrscht, bieten sich an anderer Stelle neue Perspektiven. Auch das ist Corona.

 www.readersdigest.de

 www.ifo.de