© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Wenn es euch gibt, meldet euch!
Auf der Suche nach außerirdischer Intelligenz: Mit dem SETI-Programm wird seit 60 Jahren ins All gelauscht
Marc Zoellner

Derart verblüfft zeigte sich Jerry Ehman über die empfangene Nachricht, daß sein Kommentar sogleich Einzug in die Geschichtsbücher hielt: „Wow!“, notierte der Physiker der Ohio State University schlicht auf dem Ausdruck seines IBM-Computers neben eine Zeichenfolge, die ihm sofort markant ins Auge gestochen war.

Seit 1967 war Ehman bereits am Radio Observatory der Universität, dem damals größten Radioteleskop im Mittleren Westen der USA, hauptberuflich tätig, um eine Kartierung außergalaktischer – also von außerhalb unserer Milchstraße stammender – Radiosignale anzufertigen. Doch mehr als zehn Jahre sollte es dauern, bis das „große Ohr“, wie das Teleskop scherzhaft von den Mitarbeitern des Instituts genannt wurde, schließlich jene berühmte Signalfolge „6EQUJ5“ empfing, die Ehman zur These verleitete, die Menschheit habe an jenem 15. August 1977 um 22.16 Uhr Ortszeit das erste Mal Kontakt zu einer außerirdischen Zivilisation gehabt.

Ehmans „Wow!“-Signal löste damals einen wahren Sturm an Begeisterung für weitere Forschungsprojekte unter Wissenschaftlern, Politikern sowie interessierter Bevölkerung aus und trieb gerade das SETI-Programm, dessen Abkürzung auf deutsch soviel wie „Suche nach außerirdischer Intelligenz“ bedeutet, zu ungeahnter Blüte. Ende März dieses Jahres jedoch wurde, für viele Teilnehmer überraschend, mit „Seti@home“ ein wichtiger Bestandteil des internationalen Projekts geschlossen.

Dabei war gerade Seti@home ein glanzvoller Start vergönnt gewesen: Seit 1974 hatte das Arecibo-Observatorium im Dschungel Puerto Ricos sporadisch für das SETI-Programm Daten über empfangene Radiowellen aus den Tiefen des Weltalls geliefert. Deren Auswertung gelang aufgrund der mangelhaften Rechenleistungen damaliger Computer nur unzulänglich.

Sind wir die einzigen oder wimmelt es von Intelligenz?

Am 17. Mai 1999 indessen, zu einer Zeit, als das Internet für eine breite Masse an Nutzern zugänglich wurde, entschlossen sich die Forscher des Space Science Lab (SSL), des astronomischen Instituts der kalifornischen Berkeley-Universität, zur Veröffentlichung ihrer ersten Onlineversion von Seti@home, um die Computer von freiwillig Mitwirkenden zu einem Rechennetzwerk zusammenzuschließen. „Wenn 50.000 bis 100.000 Teilnehmer erreicht werden können“, schrieben die Wissenschaftler in einem Aufsatz 1997, „wird die Rechenleistung gleichzusetzen sein mit jener eines typischen Supercomputers.“

Tatsächlich übertraf die rege Teilnahme die optimistischsten Erwartungen des SSL: Weltweit stellten bereits in den Anfangsjahren Hunderttausende ihre privaten Rechner dem SETI-Programm zur Verfügung. 2008 schließlich fand SETI sogar als größtes Rechennetzwerk der Welt Einzug ins Guinness-Buch der Rekorde, und 2013 zählten die Projektleiter 1,4 Millionen registrierte Nutzer, von denen im Schnitt jeweils 145.000 beim Auswerten der von der Arecibo-Sternwarte gewonnenen Daten gleichzeitig zuarbeiteten.

Mit einer Rechenleistung von etwa 700 TeraFLOPS reichte SETI zwar längst nicht mehr an die neuesten Hochleistungsrechner heran, deren Modelle wie der US-amerikanische „Summit“ oder auch der chinesische „Tianhe-2A“ gut 50mal schneller arbeiten (JF 2/20) als das Heimnetzwerk der astronomiebegeisterten Weltgemeinde; doch immerhin trugen die privaten Rechner dem SETI-Programm seit Projektbeginn gute 2,3 Millionen Jahre Rechenzeit zusammen. Die bisherigen Ergebnisse dieser Mammutarbeit allerdings dürften keinen der Teilnehmer so recht befriedigen. Sie waren wohl auch einer der Gründe für die vorzeitige Schließung des Projekts.

Für die SETI-Forscher stellt sich dabei noch nicht einmal die Frage, ob außerirdisches Leben in- oder außerhalb unserer Galaxie vorhanden sein könnte. Zuversichtlich stützen sich die Wissenschaftler dabei auf die „Drake-Gleichung“ des US-Astronomen Frank Drake: Dieser Ausnahmeforscher leitete seit 1965 das Arecibo-Observatorium und konnte im November 1961 darstellen, wie sich die Anzahl intelligenter Spezies innerhalb einer Galaxis, denen ein interstellarer Kontaktversuch technologisch überhaupt möglich wäre, mathematisch berechnen ließe. Seine Gleichung enthält unzählige der modernen Astronomie noch immer unbekannte Variablen. Sie dient jedoch auch dem SETI-Programm als Grundlage für gleich drei hypothetische Modelle: das konservative, das optimistische sowie das enthusiastische Modell, die von einer einzigen, von einhundert weit verstreuten und von bis zu vier Millionen eng angrenzenden Zivilisationen allein in unserer Heimatgalaxis, der Milchstraße, ausgehen.

Stimmte das konservative Modell, wäre die Menschheit tatsächlich die einzige intelligente Spezies in unserem Sternensystem. Träfe das enthusiastische Modell zu, würde die Milchstraße vor Intelligenz geradezu wimmeln – allerdings noch immer mit einem mittleren Abstand von gut 150 Lichtjahren zwischen zwei Zivilisationen. Eine für Raumschiffe zu menschlichen Lebzeiten unüberbrückbare Entfernung; für Radiowellen hingegen ein Katzensprung. Bereits auf dem heutigen Stand der Technik, erklärte der Direktor des Berkeley SETI Research Center, Andrew Siemion, Ende Februar auf einer Konferenz, „können wir Sendeanlagen, die in ihrer Leistung den stärksten Sendern auf unserem Planeten gleichen, quer durch die gesamte Galaxis nachweisen“.

Eine Wechselwirkung, von welcher selbstredend auch fremde Zivilisationen profitieren dürften: „Die digitale Revolution macht unsere Zivilisation nicht unsichtbar für Außerirdische“, konstatierte der bulgarische Science-fiction-Autor Alexander Popoff in einem Gastbeitrag für das SETIleague Onlinemagazin. „Ganz im Gegenteil wird die elektromagnetische Ausstrahlung unserer menschlichen Zivilisation immer stärker, und wir versenden einen stetig wachsenden Betrag an Funkwellen ins All. Wir brauchen uns gar nicht erst zu fragen: Die fortgeschrittenen Zivilisationen unserer Galaxis wissen, daß wir existieren, und sie wissen sehr genau, wo wir uns befinden.“ Denn militärische und zivile Radarsysteme könnten noch in einer Entfernung von bis zu 500 Lichtjahren geortet werden.

Eine Antwort wird erst in 50.000 Jahren erwartet

Popoffs These, aufgrund ihrer Emissionen sei die Erde den außerirdischen Spezies in unserer Nachbarschaft längst bekannt, steht allerdings das Fermi-Paradoxon gegenüber, welches vom italienischen Physiknobelpreisträger Enrico Fermi im Sommer 1950 postuliert und 25 Jahre später vom US-Astrophysiker Stephen Hart ausformuliert worden war. Herunterbrechen läßt sich Fermis Paradoxon auf die simple Aussage: „Wenn es sie gibt, wo sind sie dann?“ Immerhin, erklärte Fermi damals am Rande eines Mittagsgesprächs unter Kollegen in der US-Forschungseinrichtung von Los Alamos, könne weder möglich noch wahrscheinlich sein, daß es in unserer Galaxis intelligente Lebensformen gebe, diese sich jedoch nicht für die Menschheit interessierten – und daß es dem Menschen trotz seiner komplexen technologischen Kenntnisse bislang nicht möglich gewesen sein sollte, die Existenz anderer intelligenter Lebensformen im Universum nachzuweisen. Mit seiner skeptizistischen Grundhaltung legte Fermi unwissend den Grundstein des sechs Jahre später ins Leben gerufenen SETI-Programms.

Auch Frank Drake nahm sich Anreiz von Fermi: Im November 1974, zwanzig Jahre nach Fermis Tod, ging der Astrophysiker als Autor und Absender der „Arecibo-Botschaft“, benannt nach Drakes Sternwarte, als erster Kontaktsuchender mit Außerirdischen in die Geschichte ein. Drakes in das Sternbild Herkules versandte Botschaft war eine Datenfolge von 1.679 Zeichen Länge, die sich in exakt zwei Primzahlen zerlegen und somit von intelligenten Lebensformen mit mathematischem Grundverstand zu einem Bild zusammenfügen ließ: Darauf sind ein Mensch zu erkennen, seine Nukleotide und DNS sowie die Lage der Erde innerhalb unseres Sonnensystems. Eine Antwort auf Drakes Funkspruch darf aufgrund der Entfernung der Zielkoordinaten allerdings erst in gut fünfzigtausend Jahren erwartet werden.

Nach Radiowellen wie jenen Drakes hatte Seti@home die vergangenen 21 Jahre vergebens forschen müssen. „Im wesentlichen haben wir alle Daten analysiert, die wir derzeit benötigen“, hieß es lapidar von der Berkeley-Universität. Tatsächlich waren zeitweise gleich mehrere potentielle Kandidaten im Datenmaterial aufgetaucht, die auf künstlich erzeugte Radiowellen gedeutet hatten – so beispielsweise ein mysteriöses, sich im März 2003 mehrfach wiederholendes Signal aus einer sternenleeren Gegend zwischen den Sternbildern Fische und Widder. Alle hätten sich am Ende jedoch, entgegen der Spekulationen verschiedenster Medien, als natürlichen Ursprungs herausgestellt. Ein „Wow!“-Signal, wie es Jerry Ehman noch im August 1977 empfangen hatte, konnte hingegen nicht wieder aufgezeichnet werden.

Für das SETI-Programm stellt die Schließung des gemeinschaftlichen Projekts seti@home jedoch nicht das gänzliche Ende dar: Forscher der Berkeley-Universität erweitern derzeit gemeinsam mit ihren Kollegen aus Harvard und San Diego das zu überwachende Spektrum möglicher außerirdischer Signale um eine optische Komponente.

Wie ein Facettenauge aus bis zu achtzig kleineren Linsen bestehend, sollen künftig Hunderte quer über den Erdball verteilte PANOSETI einen Panorama­blick auf den kompletten Nachthimmel gestatten und dabei nach extrem kurzen, künstlich verursachten Lichtblitzen Ausschau halten. „PANOSETI erkundet das Universum im Maßstab von Millionstelsekunden, eine Größenordnung, welche wir Erdlinge noch nicht genügend überwacht haben“, erklärt Dan Werthimer, der Chefwissenschaftler von Berkeleys SETI-Institut, auf der Netzseite der Universität. „Denn ein Weg zu kommunizieren oder Aufmerksamkeit zu erregen ist ein Blitz, so wie ein Leuchtturm. In jenem Moment, wenn sie 

Online-Zeitschrift „SETI league“:  www.setileague.org

Aufsatz von Alexander Popoff, „Humanity is perfectly visible to extraterrestrials“:  www.setileague.org