© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

So weit die deutsche Zunge klingt
140 Jahre Deutscher Schulverein: Eine Wiener Initiative zur Förderung deutschsprachiger Minderheiten
Christoph Bathelt

Am 13. Mai 1880 trafen sich mehrere Dutzend Männer eines deutschen Leseklubs in einem Kellerlokal im Wiener „Grand Hotel“. Normalerweise wurde bei diesen Veranstaltungen über aktuelle Literatur diskutiert, aber diesmal ergriff der Lehrer Engelbert Pernerstorfer das Wort und berichtete über das Engagement des Kuraten Mitterer im Tiroler Ort Proveis: Durch Eigeninitiative war es ihm gelungen, in dem dortigen gemischtsprachigen Gebiet eine deutsche Schule zu gründen. Wieviel erfolgreicher wäre es, so Pernerstorfer, wenn man so eine Idee auf das ganze Land ausweiten und koordinieren würde? Statt einer lokalen Bewegung einen „Deutschen Schulverein“ für alle Orte und Gemeinden, in denen es keine staatlichen deutschen Schulen, aber deutsche Kinder gab? 

Großer Rückhalt durch strikte Überparteilichkeit

Seine Idee wurde begeistert und einstimmig aufgenommen, der Antrag zur Vereinsgründung an die Niederösterreichische Landesregierung von fast hundert hervorragenden Wissenschaftlern, Juristen, Musikern und Politikern unterzeichnet. Bei der ersten Hauptversammlung im Wiener Musikverein zwei Monate später gab es bereits 13.000 Mitglieder, am Jahresende übertraf man die 22.000er-Marke. Über 160 Kulturhäuser, 101 Schulen, 152 Kindergärten, Wanderlehrer und Büchereien konnte man bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs mobilisieren, die Mitgliederzahl überschritt die 240.000.?

Grundlage war von Anfang an die Prämisse: Zu allererst Sachpolitik, die Unterstützung des Grenzland-Deutschtums, und keine Parteipolitik. Deutlich wurde das in den Persönlichkeiten der ersten beiden Obleute, Moriz Weitloff, und sein Nachfolger Gustav Groß, welche es schafften, Männer und Frauen aus den unterschiedlichsten Lagern an sich zu binden. Sozialdemokraten wie Viktor Adler, Musiker wie Johannes Brahms oder Johann Strauss, Industrielle wie Robert Primavesi, Wissenschaftler wie Ernst Mach, Frauen wie Fanny Meißner-Diemer oder Bertha von Suttner. Antisemiten wie Georg von Schönerer verließen daher nach kurzer Zeit den in ihren Augen zu liberalen Verein.

Wirtschaftlich war der Verein auch sehr erfolgreich: Zum einen durch kreative Werbemaßnahmen, Sammlungen, den Verkauf von Kalendern und den noch heute als Sammelobjekt beliebten Schulverein-Ansichtskarten, die von bekannten Künstlern gestaltet wurden. Und vor allem durch den großen Steirischen Schriftsteller Peter Rosegger, dessen Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen ihn besonders verständnisvoll für die Notwendigkeit von guter Schulausbildung machte. Seine Kampagne „2000 Kronen – 2 Millionen“ im Jahre 1909 lukrierte innerhalb von eineinhalb Jahren sogar drei Millionen Kronen, heute ein Wert von rund 15 Millionen Euro.

Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns 1918 wurde die wirtschaftliche Lage zwar schwerer, die Herausforderungen aber nicht weniger: Mit großem Elan half man bei der Integration des neu zu Österreich gekommenen Burgenlandes und schuf eine flächendeckende Bildungslandschaft. Aber auch in Kärnten, der Steiermark oder im Sudetenland war Hilfe vonnöten. 2.000 Kinder aus der von den Franzosen besetzen Rhein-Ruhr-Region wurden nach Österreich eingeladen, auf Ansuchen der Wiener und niederösterreichischen Landesregierung wurden hungernde Jungen und Mädchen unter Vermittlung der Schulvereins-Schulen aufs Land geschickt zum Erholen. 

Neuanfang nach 1945 

unter neuem Namen

Im Jahr 1926 erfolgte die Vereinigung mit dem eher wirtschaftlich orientierten Verein Südmark, mit dem zusammen man nun auch Arbeitsvermittlungen, Kredithilfen und andere Hilfsprogramme organisierte, was der krisengeschüttelten Republik Österreich selbst nicht möglich war. Trotz der, insbesondere von Sozialdemokraten und Deutschnationalen getragenen, großdeutschen Idee standen nach wie vor Überparteilichkeit und Loyalität zum Staat an erster Stelle, was sich an der regelmäßigen Teilnahme von Bundespräsidenten, Bundeskanzlern, dem akademischen Senat der Universität Wien oder Vertretern der Kirche an Veranstaltungen beweist. Dabei war der Deutsche Schulverein immer auch ein Spiegel der Gesellschaft: Neben der immer mehr als einzige Hoffnung angesehenen großdeutschen Lösung war es in den 1920er und 30er Jahren auch der sich ausbreitende Antisemitismus, der als Mitglieder nur „Stammesdeutsche“ erlaubte.

Mit dem Anschluß an das Deutsche Reich 1938 glaubte man sich am Ziel seiner Träume, auch als die Organisation mit dem VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) zwangsvereinigt und schließlich komplett aufgelöst wurde.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg alles Deutsche in Österreich verpönt war, kamen 1952 ehemalige Schulvereinsmitglieder wieder zusammen und gründeten die „Österreichische Landsmannschaft“, aber ausdrücklich mit den gleichen Zielen wie der alte Verein. Denn auch nach den Vertreibungen von Millionen Deutscher aus Osteuropa gab es viel zu tun: Vor allem im um seine Autonomie kämpfenden Südtirol. Hier wurden wieder unzählige Transporte mit Büchern, Lehrmaterialien und anderen Hilfsgütern, Stipendien für Südtiroler Studenten oder Lehrlingsförderungen organisiert. Neben anderen Ländern waren es dann in den achtziger Jahren vor allem Siebenbürgen und Ungarn, mit denen man intensive Hilfskontakte pflegte.

Seit einigen Jahren erlebt die ÖLM einen Generationswechsel, auch wenn sich die Aufgaben nicht geändert haben: Nach wie vor sind es ausschließlich Ehrenamtliche, welche in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Rumänien, Serbien und der Ukraine mit den deutschen Minderheiten Kontakte pflegen, Projekte fördern, Schulklassen empfangen oder Sprachkurse organisieren. Im „Schulvereinshaus“ im 8. Wiener Gemeindebezirk finden regelmäßig Vorträge und andere Veranstaltungen statt.

Der Österreichischen Landsmannschaft geht es darum, unbürokratisch dort zu helfen, wo andere nicht, oder verspätet hinkommen, und stets über-, aber nie unparteilich. Denn mehr als die materiellen Zuwendungen, die natürlich gern gesehen sind, ist es die Dankbarkeit der Menschen vor Ort für das Gefühl, nicht vergessen worden zu sein. Ihr kulturelles Erbe ist das Erbe von uns allen, das es zu bewahren und zu fördern gilt.

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