© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Der Flaneur
Der Mietvertrag
Bernd Rademacher

Die alte Bauernkate ist ein Juwel inmitten eines ländlichen Idylls: weite blühende Felder, am Rand ein Wald, dazwischen ein Bachverlauf.

In einem Maklerprospekt würde „Für Individualisten mit handwerklichem Geschick“ über dem Bild stehen. Glücklich, wer hier wohnen darf. Viele haben es schon vergebens versucht. Der ebenso knurrige wie knorrige Eigentümer mag keine Mieter aus der Stadt. 

Scharenweise ließ er sie wortkarg abblitzen, wenn sie sonntags mit ihren glänzenden Pseudogeländewagen vorfuhren, um ihm ihre Mietangebote zu offerieren. Mehr als ein unfreundliches „Nä!“ haben die meisten nicht zu hören gekriegt, bevor sie den Alten von hinten sahen.

Eine Woche darauf waren sie wieder da und hatten dem Senior eine Pulle mitgebracht.

Auch das junge Paar, das sich bei den Nachbarn nach dem Eigentümer des malerischen Häuschens durchfragte, wurde gewarnt: „Das könnt ihr gleich vergessen!“ Sie fuhren trotzdem hin, plauderten mit dem Weißhaarigen ein paar Takte am Zaun, lobten seine Apfelbäume und verschwanden wieder. 

Eine Woche darauf waren sie wieder da. Sie hatten dem Senior eine Pulle mitgebracht, er bat sie herein und sie schnackten über Gott und die Welt. Nur nicht über Politik, denn „Friß dich rund, sauf dich dick, doch halt das Maul von Politik“ ist ein Spruch, den man hier beherzigen muß, wenn man ein zweites Mal eingeladen werden will – sie wurden.

Am folgenden Sonntag kamen sie mit selbstgebackenem Strudel und mehreren Kuchen zur Kaffeezeit. Das Gespräch drehte sich um Hunde, Katzen und Pferde, begleitet vom monotonen Metronom der Standuhr: Tick-Tack … Das Mietobjekt wurde mit keinem Wort erwähnt. Volle zehn Monate ging das so. 

Vor kurzem nun der plötzliche Lohn der liebevollen Hartnäckigkeit. Mitten in der Unterhaltung – wie die hier so abläuft: Alle zehn Minuten sagt einer etwas und die anderen nicken still – schiebt der Alte einen Schlüsselbund über den Tisch. Die Schlüssel zur Kate. So werden hier Mietverträge geschlossen.