© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Angelika Barbe und die Polizei
Willkürliche Festnahme
Vera Lengsfeld

Wer hätte je gedacht, daß sich 30 Jahre nach dem Verschwinden der SED-Diktatur auf unseren Straßen wieder Szenen abspielen, die denen gleichen, die 1989 als Fernsehbilder um die Welt gingen? Ausgerechnet am Berliner Alexanderplatz, dem Ort des Widerstands gegen die gefälschten Kommunalwahlen im Mai 1989, kam es am vergangenen Sonnabend zu einem Déjà-vu-Erlebnis für alle, die wissen, wie in einem totalitären Staat verfahren wird.

Angelika Barbe, Bürgerrechtsaktivistin der achtziger Jahre in der DDR, Mitbegründerin der SDP, später SPD der DDR, Mitglied des Deutschen Bundestages und langjährige Mitarbeiterin der Landeszentrale für politische Bildung, wurde willkürlich festgenommen. Sie war mit ihrem Mann und ihrer Freundin unterwegs, weil sie einkaufen gehen wollte. Sie sah das Polizeiaufgebot und fragte die Beamten, warum sie im Einsatz seien. Sie bekam die Auskunft, daß eine Antifa-Demonstration angemeldet sei. Sie könne gern daran teilnehmen, ansonsten solle sie sich vom Platz entfernen. Barbe fragte zwar noch, warum die Antifa geschützt, friedliche Passanten aber aufgefordert würden, sich zu entfernen, wandte sich aber zum Weggehen. Da rief ein Polizist, der sie offenbar erkannt hatte: „Die zeigen wir an.“ Daraufhin stürzten sich mehrere Polizisten auf Barbe und eskortierten sie rabiat zur Zuführungsstelle, wo die Anzeige gegen sie aufgenommen wurde. Die Videoaufnehmen zeigen, daß Barbe die Beamten vergeblich darauf hinwies, daß sie kürzlich am Knie operiert worden sei und nicht so schnell laufen könne. Sie wurde regelrecht über den Platz geschleift. 

Diese Vorgehensweise der Berliner Polizei wirft mehrere Fragen auf. Lautete der Einsatzbefehl, mit allen Mitteln eine weitere Demonstration, wie sie in der Woche zuvor auf dem Alexanderplatz stattgefunden hatte, zu unterbinden? Auf dieser Demo wurden Rufe nach Beendigung der Corona-Maßnahmen und nach Freiheit laut. Sollte ein Exempel statuiert werden, indem man eine „Rädelsführerin“ abführte? Als solche könnte man Barbe ansehen, nachdem sie das Vorgehen der Polizei gegen diese Demonstranten in einem Interview mit dem der Volkspolizei vor 31 Jahren verglichen hat. Sollte diese Aktion bürgerliche Demonstrationsteilnehmer abschrecken?

Aber auch die beteiligten Polizisten müssen sich fragen lassen, ob sie sich darüber im klaren sind, daß sie mit ihrem Vorgehen willkürlich gehandelt haben. Das einzige, was man Angelika Barbe vorwerfen könnte, ist, daß sie ihre grundgesetzlichen Rechte in Anspruch genommen hat. Die Frage an alle Polizisten ist, ob sie wissen, daß sie solche Anweisungen nicht ausführen müssen. Dafür wurde das Remonstrationsrecht eingeführt. Niemand soll sich mehr darauf berufen können, nur Befehle ausgeführt zu haben.