© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

EU-Verhandler glauben nicht mehr an einen weichen Brexit
Drama und kein Ende
Albrecht Rothacher

Bei Scheidungen verlieren alle, und das Familienporzellan wird oft zerschmissen. Was ist der Rang der EU in Commonwealth-Ländern wie Indien, Australien, Neuseeland, Singapur und Malaysia, wenn die Briten nicht mehr dabei sind? Oder in Japan, wo die British Embassy seit 140 Jahren direkt neben dem Kaiserpalast steht? Für russische Oligarchen oder chinesische Touristen war England immer das Prisma Europas, sicher nicht Frankfurt, Marseille oder Neapel. Nach Eton schicken sie ihren verwöhnten Nachwuchs, aber sicher nicht auf eine Gesamtschule in Offenbach.

Bis Dezember dieses Jahres laufen die Brexit-Übergangsregelungen: Großbritannien bleibt de facto Teil des Binnenmarktes – aber ohne Einfluß. Aus Brüsseler Sicht könnte dies endlos so weitergehen, aber die Brexiteers stört es. Patrick Minford von der Universität Cardiff träumt von einem Off-shore-Zentrum vor Europa – mit Niedrigsteuern, Sozialdumping und Freihandel mit den USA. Das soll Investitionen anlocken – zum Schaden der mit Vorschriften überforderten EU. Steuerwettbewerb ist keine schlechte Idee, wenn man weiß, wie die öffentlichen Haushalte das Geld der Bürger unproduktiv zum Fenster hinauswerfen. Die britische Euro-Verweigerung war schlau, London sieht genüßlich zu, wie der bankrotte „Club Med“ die Nordzone der Währungsunion zur Kasse bittet.

Doch Amerika ist ein schwieriger Partner. Donald Trump mochte den Brexit, weil er die EU schwächte. Gleichzeitig wird der Corona-geschwächte Wahlkämpfer keinem ausländischen Partner Konzessionen ohne Vorleistungen anbieten. Das gilt für Chlorhühnchen über Hormon-Beef bis Genmais, da können die Briten, wie die EU, die Südkoreaner oder die Japaner noch lange im Weißen Haus kriecherisch schmeicheln. Die Chancen Boris Johnsons auf einen Handelsvertrag mit den USA stehen schlecht, denn im November ist mit den US-Wahlen und der Übergangszeit bis Januar ohnehin der Ofen aus.