© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Von der endlos langen Nacht islamischen Denkens
Philosophie als Magd der Theologie
(dg)

Vieles spreche dafür, die Vielfalt, die Europas neuzeitliche Philosophiegeschichte auszeichne, auch für die islamische Welt anzunehmen. Diese kühne These verficht der Züricher Islamwissenschaftler Ulrich Rudolph (Zeitschrift für Ideengeschichte, 2/2020). Der Verfasser eines Standardwerks über „Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ unternimmt damit den kuriosen Versuch, den als vormodern monolithisch geltenden Islam als gleichrangig erscheinen zu lassen mit den wissenschaftlich, kritisch und skeptisch orientierten pluralistischen Strömungen des europäischen Denkens, die sich seit dem 15. Jahrhundert von der christlichen Einheitskultur des Mittelalters emanzipiert haben. Eine ähnliche, jedoch nur minimale Ablösung von Religion und Theologie sei der islamischen Philosophie in kanonischen Philosophiegeschichten wie der Hegels nur für ihre Blütephase im 9. bis 12. Jahrhundert zugebilligt worden. Und diese mit dem Aristoteles-Kommentator Ibn Ruschd (1126–1198) ausklingende Glanzepoche arabischer Philosophie hätten ihre abendländischen Rezipienten lediglich wegen deren Brückenfunktion bei der Vermittlung zwischen Spätantike und lateinischem Mittelalter gewürdigt. Für die dunklen Jahrhunderte danach, der „post-klassischen Zeit“, sei daher leider bis heute „das Dogma vom Ende der islamischen Philosophie seit 1200“ in Kraft. Zu Recht, wie Rudolph bei Tilman Nagel nachlesen kann („Was ist der Islam?“, 2018), der zeigt, daß auch neuere, scharf antiwestliche Denker wie Muhammad Abduh (1859–1905) ihre Philosophie ausschließlich als Magd der Theologie und Stütze des Glaubens an Allah verstanden. 


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