© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

„Nehmen Sie das Auto, das Fahrrad oder laufen Sie“
Mit ICE-Tempo ins grüne Paradies / Wie Corona-sicher sind Klimaanlagen in öffentlichen Verkehrsmitteln?
Jörg Schierholz

Jetzt, da die Auto- und die Flugzeugbranche um Steuergeschenke betteln und die Corona-Pandemie die Industrieproduktion in die Knie zwingt, schwärmen viele Grüne und Ökologisten von der Chance zum Übergang in ein CO2-freies Paradies. Gleichwohl dämmert es einigen, darunter Boris Johnson, daß nicht alle im Homeoffice sind und viele irgendwie zur Arbeit müssen. „Nehmen Sie das Auto, das Fahrrad oder laufen Sie“, forderte der britische Premierminister seine Landsleute in einer Fernsehansprache auf. Dabei hatte Johnson noch im Februar versprochen, ab 2035 keine neuen Benzin- und Dieselautos mehr zuzulassen und bis 2050 Großbritannien „klimaneutral“ zu machen.

Doch der ÖPNV darf Corona-bedingt nur noch wenige Pendler mitnehmen, denn vollgestopfte Busse und U-Bahnen gelten als mögliche Quelle einer Corona-Infektion. In vielen Ländern werden auch Haltestellen, Drehkreuze und Fahrkartenautomaten verstärkt desinfiziert. Amerikanische Forscher fordern zudem, daß Bahn- und Busbetreiber sowie Reedereien, die keine Virus-sicheren High efficiency particulate airfilter (HEPA) haben, die Klima- und Lüftungsanlagen so einstellen, daß nur Frisch- und keinerlei umgewälzte Luft einströmt. Ältere Klimaanlagen mischen Außen- mit Innenluft, um Energie zu sparen – das ist ökologisch. Leider können diese Systeme keine sehr kleinen Partikel wie Sars-CoV-2 herausfiltern.

„Es ist der beste Platz, den man haben kann“

Somit könnten diese „Klimaanlagen das Virus in jede Kabine befördern“, warnt Qingyan Chen, Maschinenbau-Professor an der Purdue University in West Lafayette (Indiana). Airbus nutzte jüngst die Gelegenheit, für die besonders reine Luft in den Kabinen seiner Flugzeuge zu werben. „Es ist der beste Platz, den man haben kann“, sagte Konzernchef Guillaume Faury über seine Flugzeugsitze. Die Luft ströme aus den Klimaanlagen von oben nach unten und werde nicht über die Kabine verteilt, und die HEPA-Filter entfernten zudem 99,99 Prozent der Partikel.

Aber gilt dies auch für die Deutsche Bahn AG (DB)? „Für die Klimaanlagen gibt es mit Blick auf Filtrierung und Reinhaltung nationale und internationale Normen“, erklärte ein DB-Sprecher. „Diese Normen werden auch in den Fahrzeugen der ICE-Flotte eingehalten“, eine Übertragung über Lüftungs- oder Klimaanlagen werde „für nahezu ausgeschlossen gehalten“. Welches Filtermaterial und welche Filterklasse verwendet werden, beantworteten weder die DB noch der ICE-Hersteller Siemens mit Rücksicht auf seinen Hauptkunden.

Gleichwohl werden international verstärkt Klimaanlagen mit HEPA-Filtern verbaut. Der Hersteller Knorr-Bremse habe beispielsweise in China Klimaanlagen mit „aktiver Filterüberwachung sowie Algorithmen zur Regelung des Luftgemisches“ installiert, die „bereits während der Bekämpfung der Covid-19-Krise eingesetzt wurden“. Aktive Luft- oder Filterreinigungssysteme mit Ultraviolettlampen oder elektrischen Nahfeldern zu Partikelabscheidung oder -abbau baut der Hersteller in Hochgeschwindigkeitszüge in Rußland und China ein. Bei der DB bleibt hingegen selbst die Frage nach HEPA-Filtern offen.

Der Staatskonzern, bekannt als Endlagerstätte für ausgediente CDU-Politiker, könnte eigentlich die Chance der Corona-Pandemie ergreifen, um sich als sinnvolle Alternative zum Flugzeug und Auto zu präsentieren. Es ist leider zu befürchten, daß diese Erkenntnis erst mit der bahntypischen zeitlichen Verzögerung ankommt. Die rekordverdächtigen Verspätungen führen manchmal zu verstörenden Zeitreiseerfahrungen. Manche Fahrgäste, die ihre Reise an bestimmten Bahnhöfen im Ruhrgebiet beenden, geben immer wieder an, man fühle sich dort wie in der Nachkriegszeit, als auch die Industrie am Boden lag.

„The Subways Seeded the Massive Coronavirus Epidemic in New York City“:

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