© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Oliver Flesch. Der Ex-Springer-Journalist gibt auf Youtube den Bürgerschreck von rechts.
Der Hutbürger
Tobias Dahlbrügge

Oliver Flesch ist ein Mann voller Rätsel. Der stoppelbärtige „Silver-Ager“ hat sich mit Video-Interviews und -reportagen in der bunten Welt alternativer Medien einen Namen gemacht.

Äußerlich hinterläßt er keinen besonders seriösen Eindruck – es sei denn, man mag tätowierte Handrücken. Seine obligatorischen Hütchen wirken etwas berufsjugendlich und seine Videos haben Do-it-yourself-Charme: Mal ruckelt anfangs die Technik, mal bellen im Hintergrund seine offenbar zahlreichen Hunde.

Doch vom leicht ungepflegten Eindruck des 50jährigen Hamburgers sollte man sich nicht täuschen lassen: Flesch hat das Journalistenhandwerk erlernt. Er schrieb und fotografierte ab 1994 für die Hamburger Morgenpost und die Bild, nachdem er erstmal einige Jahre herumgegammelt hatte, bis ihm Anfang der Neunziger ein Exklusivinterview mit der Punk-Combo Die Ärzte die Türen ins Mediengeschäft öffnete. Zudem verfaßte er Drehbücher fürs Fernsehen sowie gelungene Biographien über Gunter Gabriel und Harald Schmidt. Sein Buch über den legendären Hamburger „Star Club“-Gründer Horst Fascher erreichte gar die Spiegel-Bestsellerliste. Und für RTL und weitere Privatsender schrieb er eher zweifelhafte Doku-Seifenopern.

Seit mehreren Jahren lebt der Youtuber und Blogger auf Mallorca. Von hier aus interviewt er etwa AfD-Politiker, rechte Aktivisten, beziehungsweise Aktivistinnen wie etwa Lisa Licentia (JF 10/20), und andere Protagonisten aus dem alternativen Kosmos von Pegida bis PI-News.

Im Gespräch mit seinen Gästen besticht seine sonore Stimme und die verbindliche Art, die etwas von einem Kummerkasten-Onkel à la Domian hat.

Doch auch dieser Eindruck täuscht: 2019 wagte er in Berlin direkt in der Rigaer Straße, der Herzkammer des Linksextremismus in der Hauptstadt, die Antifa zu provozieren, wurde von deren Schlägern angefallen und verletzt. Die Corona-Krise läßt Flesch nun zur Hochform auflaufen, was die Menge seiner Beiträge, aber auch Fans und Reichweite betrifft: Die Zahl seiner Abonnenten hat die fünfzigtausend überschritten.

Für viele unter ihnen ist allerdings Fleschs „Zweitexistenz“ als „Experte für Liebe und Lust“, Autor obskurer Sex-Ratgeber und zuweilen merkwürdiger Antifeminismus-Pamphlete irritierend, seine pathologischen Ausfälle sexueller Gossenphantasien unterster Schublade gegen Frauen zu Recht verstörend.

Politisch sieht sich Flesch übrigens mehr als politischen Netzaktivisten denn als Journalisten, da er angesichts der längst zu extremen Fehlentwicklungen unter Merkel „nicht mehr objektiv“ sein könne. An Selbstdarsteller Flesch scheiden sich die Geister. Die einen schätzen seinen schlauen Kopf und seine freche Art, den anderen ist sein Kokettieren mit dem Ballermann-Proletentum ganz und gar zuwider.