© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Nehmt vom Kaiser, was des Kaisers ist
Gesetzentwurf: Liberale, Linke und Grüne wollen im Bundestag gemeinsam das Ende staatlicher Zahlungen an die Kirchen einläuten / Regelung seit über 200 Jahren
Gernot Facius

Die Geschichte begann mit Napoleons Kriegen, und sie liefert bis heute den Stoff für politische Debatten. FDP, Grüne und Linke haben jetzt gemeinsam im Bundestag die Initiative zur allmählichen Aufhebung der sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen ergriffen. Demnach sollen die Länder die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden jährlichen Überweisungen an die Religionsgemeinschaften durch einmalige Zahlungen oder durch Ratenzahlungen ablösen. Ein kompliziertes Problem. 

Man muß wirklich weit zurückgehen, um es zu erkennen. Im Friedensvertrag von Lunéville (1801) waren deutsche Fürstentümer verpflichtet worden, Teile ihrer Ländereien an Frankreich abzutreten. Sie pochten auf Entschädigung und bekamen sie auch. Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 in Regensburg ordnete die Säkularisation kirchlichen Vermögens an: Grundeigentum im Umfang von fast 100.000 Quadratkilometern und sonstiges Vermögen wurden enteignet. Im Gegenzug übernahm der Staat Zahlungen für die Besoldung und Versorgung der Geistlichen sowie für den Bauunterhalt kirchlicher Gebäude („Staatspatronat“). 

Dabei ist es bis heute im wesentlichen geblieben, obwohl Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 eindeutig festgelegt hat, daß die Zahlungen „durch die Landesgesetzgebung abgelöst“ werden müßten: „Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Ein entsprechendes „Grundsätzegesetz“ wurde jedoch weder während der Jahre der Weimarer Republik noch nach 1949 durch den Deutschen Bundestag beschlossen. Die Folge: Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland flossen mehr als 20 Milliarden vom Staat an die großen Kirchen. Umstritten ist, ob die Leistungen – nicht zu verwechseln mit der Kirchensteuer – noch in irgend-einem Verhältnis zu den Vermögensverlusten stehen. 

Das wissen offenbar auch die Kirchen. In den fünf katholischen Bistümern in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel hält man die Zeit für reif, über eine Ablösung der Staatsleistungen zu verhandeln. Ebenso die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn. Sie sagt: „Allerdings müßte der Staat auf uns zukommen.“ Das hatten die Bischöfe bereits vor zehn Jahren gefordert. An dieser Position hat sich seitdem nichts geändert. 

„Verhilft Staat zu Neutralität in der Weltanschauung“

Die EKD nennt den Entwurf der drei Oppositionsparteien „einen hilfreichen Anknüpfungspunkt für weitere notwendige Erörterungen“ und verspricht, „konstruktiv mitzuwirken“. Das ist diplomatisch vorsichtig formuliert, denn in Mitteldeutschland sind die evangelischen Landeskirchen (wie auch katholische Bistümer) stark von Staatsleistungen abhängig. Das Ost-West-Gefälle wirft noch Probleme auf. So liegt der Anteil der Staatsleistungen an den gesamten Einnahmen der Erzdiözese Köln bei 0,33 Prozent, im Bistum Magdeburg kommt man auf eine Quote von 15,11 Prozent. Noch stärkeren Nutzen haben die (evangelischen) Landeskirchen von Anhalt (fast 19 Prozent) und Mitteldeutschland (20,26 Prozent). Eine schwierige Gemengelage also. Gemeinsam mit Bundestagskollegen von Grünen und Linken hat der jüngst aus dem Bundestag ausgeschiedene Stefan Ruppert (FDP) ein Jahr lang Gespräche mit Experten und Vertretern der Kirchen, aber auch mit Politikern von CDU, CSU und SPD geführt. Grundlegende Einwände seien nicht erhoben worden. Doch die Unionsparteien und das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) haben bislang „keinen Handlungsbedarf“ erkannt. Die SPD vertrat stets die Ansicht, solange aus den Ländern keine Signale zu erkennen seien, die auf ihre Haushalte zukommenden Folgen tragen zu wollen, sollte der Bund nicht mit einer Rahmengesetzgebung vorpreschen. 

Das hält Freie Demokraten, Grüne und Linke nicht davon ab, tätig zu werden. Und sie geben sich zudem alle Mühe, den Verdacht einer kirchenfeindlichen Aktion zu zerstreuen. Die Ablösung der Staatsleistungen verhelfe laut FDP „dem Staat zu weltanschaulicher Neutralität und den Kirchen zu glaubwürdiger Unabhängigkeit“. Konstantin von Notz von den Grünen ergänzt: „Das ist kein Schritt gegen die Kirchen.“ Und Christine Buchholz (Linke) nennt als Grund für die Initiative: „Es ist nicht vermittelbar, warum die Kirchen bis in alle Ewigkeit Gelder erhalten, die aus Ereignissen herrühren, die länger als 200 Jahre zurückliegen.“ 

Die AfD plädiert dafür, durch eine Fortsetzung der Zahlungen bis Ende 2026 die kirchlichen Ansprüche abzugelten. Anders der Vorschlag von FDP, Grünen und Linken. Er sieht vor, daß sich die Ablöseleistungen am „Äquivalenzprinzip“ und am „Bewertungsgesetz“ orientieren, einer Vorschrift, die die steuerliche Bewertung von Vermögen regelt. Nach ihr ist für „wiederkehrende Nutzungen und Leistungen“ ein Wert anzunehmen, der das 18,6fache der jährlichen Zahlungen beträgt. 

„Legt man die aktuellen bundesweiten Zahlungen von 548 Millionen zugrunde, bedeutet das, daß die Länder die Kirchen mit etwa zehn Milliarden Euro entschädigen müssen“, rechnete die katholische Tagespost vor. „Geld, das gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht mal eben in der Portokasse vorhanden ist.“