© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Zwei Herren bitten zur Kasse
Corona-Krise: Haben dubiose Firmen aus China viel Geld mit der Lieferung minderwertiger Atemschutzmasken an Deutschland verdient?
Hinrich Rohbohm

Der Medienrummel ist groß. Als am 27. April dieses Jahres das von der Bundeswehr genutzte Frachtflugzeug Antonow 225 auf dem Flughafen Halle/Leipzig landet, birgt es eine heiß begehrte Ware in seinem Innern: Schutzmasken. In Zeiten der Corona-Krise sind sie zu einem gefragten Gut geworden. Deutschland hat im April zu wenig davon. Entsprechende Vorräte waren offenbar entgegen bereits 2012 ausgearbeiteter Notfallpläne nicht in ausreichendem Maß vorhanden.

Per „Luftbrücke“ und Amtshilfeersuchen der Landesgesundheitsbehörden transportiert die Bundeswehr daher mit drei Flügen 25 Millionen Atemschutzmasken von China nach Deutschland. Über zehn Millionen allein an jenem 27. April, an dem es sich Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht nehmen läßt, persönlich auf dem Rollfeld zu erscheinen, um die ersehnte Fracht im Beisein zahlreicher Medien in Empfang zu nehmen. Ohne sich dabei jedoch an die von der Bundesregierung selbst auferlegten Corona-Schutzmaßnahmen zu halten. Dicht zusammengedrängt versammeln sich Journalisten und Mitarbeiter der Ministerin auf dem Rollfeld. Mindestabstand von eineinhalb Metern? Fehlanzeige. Auch Mund- und Nasenschutz fehlen.

Spuren werden verwischt, die Täter nie belangt

Ein Fauxpas, der den geplanten PR-Termin jedoch nur wenig eintrüben könnte. Anders sieht es da schon bei den gelieferten Schutzmasken aus. Denn im Zusammenhang ihrer Herstellung tauchen nun Ungereimtheiten auf, durch die sich der medienwirksame Auftritt der Bundesverteidigungsministerin zum Bumerang entwickeln könnte.

Auf den gelieferten Frachtkartons steht der Name einer chinesischen Firma, die zumindest bei der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel Fragen aufwirft: Tongcheng Zhengheng Protective Products Co. Ltd., ein in der Stadt Anqing in der ostchinesischen Provinz Anhui ansässiges Unternehmen. „Diese Firma ist nicht bekannt und offensichtlich auch nirgends zertifiziert oder gelistet“, kritisiert Weidel, die selbst einst beruflich in China tätig war, Mandarin-Chinesisch spricht und Erkundigungen über den Betrieb eingeholt hatte.

Tatsächlich wurde Tongcheng Zhengheng Protective Products erst am 18. März dieses Jahres, also gerade einmal fünf Wochen vor der Lieferung überhaupt gegründet. Mit einem Stammkapital von sechs Millionen Yuan, was in etwa 800.000 Euro entspricht. Einer Summe, die Weidel zufolge exakt der entspreche, um in der von Deutschland georderten Menge „auf dem grauen Markt“ Fake-Produkte zu produzieren und einzutüten. Doch allein die in Halle/Leipzig gelandete Lieferung habe regulär einen Marktwert von 45 Millionen Euro, ist sich Weidel sicher.

Auf der Liste der zugelassenen und zertifizierten Hersteller, die das Center for Disease Control and Prevention (CDC) des US Department of Health & Human Services veröffentlicht, ist das Unternehmen nicht aufgeführt. Ebenfalls nicht auf einer chinesischen Liste zertifizierter Hersteller von medizinischen Produkten. Zudem war die Lieferung an die Bundeswehr entgegen der sonst üblichen Vorgehensweise nicht beim chinesischen Handelsministerium als Export aufgeführt.

Auch die beiden Shareholder der frisch ins Leben gerufenen Firma wirken dubios. Denn weder Cheng Ye noch Jiang Gao sind in China unter einer Adresse oder Telefonnummer zu erreichen. Informanten aus China bestätigen der JF: „Es gibt keinerlei Informationen über diese Personen.“ Auch würden beide keine weiteren Firmen besitzen. Die einhellige Vermutung unserer Informanten: „Es handelt sich um gefälschte Namen.“ Eine Webseite mit näheren Informationen über die Shareholder und ihr Unternehmen ist nicht mehr abrufbar.

Als Anmeldebehörde fungierte Tongcheng Market Superintend Management Jujingi Inspection Bureau of Law Enforcement. Sozialkreditnummer, Steuernummer, Gewerbeanmeldenummer und Gründungsdatum lassen sich dort bestätigen. Sonst jedoch nichts. Eine solche Vorgehensweise sei in China kein Einzelfall, bestätigen unsere Informanten, die aufgrund des hohen Verfolgungsdrucks durch das kommunistische Regime namentlich nicht genannt werden möchten.

Unternehmen würden unter falscher Identität mit dem einzigen Zweck gegründet, Fake-Produkte herzustellen, um sie dann zu marktüblichen Preisen im Ausland mit extrem hohen Gewinnmargen zu verkaufen. Sogenannte Strohfirmen würden so letztlich im Auftrag der Kommunistischen Partei tätig und sind auf diese Weise nach dem Prinzip der tausend kleinen Nadelstiche Teil einer permanenten zivilen Kriegsführung gegen konkurrierende Staaten. Diese würden die minderwertige Ware zu überteuerten Preisen erwerben, wodurch Milliardensummen nach China transferiert werden und aus den Konkurrenz-Staaten abfließen. Nicht selten würden sich solche Firmen nach dem getätigten Geschäft wieder auflösen. „Ihre Spuren werden verwischt und die Täter können in der Volksrepublik China niemals belangt und Schadensersatzansprüche nicht geltend gemacht werden“, erklärt einer unserer chinesischen Informanten.

In den vergangenen Monaten hatte es vermehrt Klagen über die millionenfache Lieferung mangelhafter medizinischer Produkte gegen das Coronavirus aus China in zahlreiche andere, zumeist westliche Industriestaaten gegeben. Die Probleme reichen von sogenannten Testkits, die mit dem Coronavirus verunreinigt sind bis hin zu mangelhaften medizinischen Kleidungsstücken. Stets hatten sich die chinesischen Behörden geweigert, die Verantwortung für defekte Produkte zu übernehmen.

In Australien hatten die Grenzbehörden eine Million fehlerhafte Gesichtsmasken beschlagnahmt. Anfang April erklärte das österreichische Wirtschaftsministerium, daß 500.000 aus China bestellte Masken unbrauchbar seien, weil sie nicht den Sicherheitsstandards entsprächen. Aus dem gleichen Grund lehnte am 31. März das Universitätskrankenhaus in der belgischen Stadt Löwen eine Maskenlieferung aus China ab. Und der amerikanische Bundesstaat Missouri hatte einen Vertrag für Masken mit einem nicht näher identifizierten Verkäufer aus China unterzeichnet, bei dem sich herausstellen sollte, daß fast vier Millionen Masken defekt waren. 

Wie der Berliner Tagesspiegel vergangene Woche berichtete, erhielt auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV) in Baden-Württemberg defekte Atemschutzmasken. Die wurden, weil man sich dort auf den Bund und dessen Qualitätsprüfung verlassen hatte, zunächst direkt an Praxen weitergereicht. Möglicherweise seien die nun mit schadhafter Ware beliefert worden. In welchem Umfang? Unbekannt. Die KV sitze nun ihrerseits auf rund 48.000 Atemschutzmasken, „für die es eine Produktwarnung der EU-Behörde für Verbraucherschutz gibt“, berichtete die Zeitung. 

Auch der Bundestagsabgeordneten Alice Weidel drängt sich der Verdacht auf, daß „findige Geschäftemacher in China eine Kurzzeit-Firma gegründet haben, um für teures Geld billige Imitatprodukte an die deutsche Regierung zu liefern, die sich viel zu spät auf verzweifelte Einkaufstour begeben hat“. 

Zur Frage, wie man auf die Firma Tongcheng Zhengheng Protective Products gestoßen sei und warum man sie trotz der unklaren Hintergründe beauftragte, konnte das Bundesgesundheitsministerium bis Redaktionsschluß noch keine näheren Angaben machen. Anfang April hatte ein Sprecher des Hauses betont, das aus China nach Deutschland zu liefernde Material werde noch „vor Ort gecheckt“. Der TÜV Nord überprüfe die Ware „auch auf die Qualität“.