© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Das 500 Milliarden Euro-Virus
Corona-Wiederaufbaufonds der EU: Deutsch-französischer Vorschlag umgeht Eurobonds nur knapp / Knackpunkt Einstimmigkeit
Dirk Meyer

Es wird teuer werden. Und uns auf Jahrzehnte belasten. Das vor allem steht fest, noch bevor alle Details festgezurrt sind. Das Kernelement der „Deutsch-französischen Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas nach der CoronaKrise“, wie sie vergangene Woche vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam vorgeschlagen wurde, ist ein Wiederaufbaufonds für die EU-Staaten nach der Covid-19-Pandemie. Geldmittel im Umfang von nicht weniger als einer halben Billion Euro sollen im Rahmen des zukünftigen mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) der EU (2021–2027) zusätzlich für den EU-Haushalt bereitstehen. Dabei sollen weiterhin und speziell auch die Ziele der Klimaneutralität und der Digitalisierung verfolgt werden.

Schon beim regulären Haushalt der EU (geplant sind etwa 1.100 Milliarden Euro) gibt es Streit über den genauen Umfang und die Finanzierung, bei der Deutschland infolge des „Brexits“ bereits besonders gefordert sein wird. Während der MFR aus den sogenannten Eigenmitteln der EU besteht (Staatenbeiträge in Proportion zur Wirtschaftskraft steuern mit 72 Prozent den Löwenanteil bei, Zölle machen 13 Prozent aus, die Mehrwertsteuerabführung bringt 12 Prozent), soll der Wiederaufbaufonds über Kredite finanziert werden. Und das sind zusätzlich 45 Prozent des MFR.

Hierzu würde die Europäische Kommission Kredite auf dem freien Kapitalmarkt über „Corona-Anleihen“ aufnehmen. Wozu sie rechtlich keine Handhabe hat. Zur Sicherung sollen die EU-Staaten entsprechend ihrer Wirtschaftskraft Garantieversprechen geben. Auf Deutschland entfielen 27 Prozent beziehungsweise 135 Milliarden Euro. Gemäß plausiblen Berechnungen des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) könnten auf Deutschland noch zusätzliche Lasten von bis zu 37,6 Milliarden Euro zukommen.

Hoteliers an der Adria  und griechische Reedereien

Der Vorteil gegenüber einer direkt-nationalen Kreditnahme besteht in niedrigeren Zinsen der Krisenstaaten zu Lasten der Staaten mit geringer Schuldenlast. Zudem würden den Staaten (zunächst) keine Schulden angerechnet werden, so daß die Schuldenlast optisch niedriger erscheint.

Die schuldenfinanzierten Mittel des Wiederaufbaufonds werden als „verlorene Zuschüsse“ vergeben. Die EU-Staaten, aber auch Unternehmen oder Selbständige dieser Staaten, könnten im Rahmen bestehender oder neu auf die Corona-Krise abgestellter Programme Anträge an die EU-Kommission stellen, um entsprechende Mittel bewilligt zu bekommen. So könnten Staaten beispielsweise für den CO2-optimierten Umbau ihrer Verkehrsinfrastruktur oder den Ausbau der Glasfasernetze Projekte beantragen. Hoteliers beispielsweise an der Adria könnten Umbaumaßnahmen planen und griechische Schiffseigner Reederbeihilfen für schwefelreduzierende Antriebe einreichen.

Bereits aus der Konzeption des Fonds und der Programme sollte sich eine deutliche Bevorteilung der südeuropäischen Krisenstaaten Italien, Spanien, Griechenland und auch Frankreichs ergeben, die trotz weit höherer Vermögen der Privathaushalte den Großteil der Gelder abrufen werden. Es ist der Preis für den Verzicht auf Corona-Bonds – Anleihen, für die jeder EU-Staat gesamtschuldnerisch haften würde. Deutschland und die Niederlande lehnen diese Art der An-leihen aus Vorsicht vor der kaum mehr tragfähigen Schuldenlast Italiens – das Land zwischen Alpen und Mittelmeer steht mit 155 Prozent des BIP in der Kreide – und Griechenlands – Athen hat sich mit etwa 200 Prozent des BIP bis über beide Ohren verschuldet – prinzipiell ab. Es ist ein sehr hoher Preis, denn die Kreditrückzahlung dürfte mangels Finanzkraft der Nehmerstaaten bei den soliden Mitgliedstaaten hängenbleiben, und das heißt, vor allem bei Deutschland. De facto ganz ähnlich den möglichen Ausfällen bei Eurobonds, nur ist beim Wiederaufbaufonds der Finanztransfer sicher.

Zwei wesentliche Probleme stehen dem Merkel-Macron-Vorschlag entgegen. Zwar kann die EU einem Mitgliedstaat bei „außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, ... unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union ... gewähren“ (Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEU-Vertrag). Allerdings besteht ein generelles Verschuldungsverbot der EU. Der Haushalt muß ausgeglichen sein. Nur im Vorgriff auf zukünftige Eigenmitteleinnahmen wäre eine Ausnahme denkbar. 

Ungeklärte Frage  der konkreten Tilgung

Allerdings „erläßt die Union keine Rechtsakte, die erhebliche Auswirkungen auf den Haushaltsplan haben könnten, ohne die Gewähr zu bieten, daß die mit diesen Rechtsakten verbundenen Ausgaben im Rahmen der Eigenmittel der Union finanziert werden können“ (Artikel 310 Absatz 4 AEUV). Bei einer halben Billion Euro dürfte diese Grenze doch überschritten sein.

Deshalb müßten die Corona-Anleihen in einem Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden, und zwar einstimmig, so wie es Artikel 312 AEUV vorsieht. Dem wie auch dem Wiederaufbaufonds selbst müssen alle 27 EU-Mitglieder zustimmen. Osteuropäische Länder fürchten indes um ihre Agrar- und Strukturhilfen und wollen nicht mitmachen. Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden haben es nicht bei verbaler Ablehnung belassen, sondern einen gemeinsamen Alternativvorschlag zu dem deutsch-französischen Freibier-Konzept präsentiert. In einem am Samstag veröffentlichten Dokument der EU-Nettozahler schlagen die „sparsamen Vier“, als die sich die Gruppe medientauglich beschreibt, vor, daß die enormen Summen nur als Kredit verliehen werden dürfen. Bloße Zuschüsse an in Schwierigkeiten geratene Staaten sollen ausgeschlossen sein. Einer „Schuldenunion durch die Hintertür“ erteilte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz eine Absage.

Der Merkel-Macron-Vorstoß ist ein fragwürdiger Kompromiß. Während der französische Präsident auf eine dauerhafte Errichtung eines Europäischen Währungsfonds (EWS) verzichtet, geht die deutsche Kanzlerin von ihrem Plan ab, den Krisenstaaten nur kurzfristige Kredite zur Verfügung stellen zu wollen. Allerdings deuten die Langfristigkeit der Kreditlaufzeiten (die Rede ist von zehn bis 20 Jahren) und die ungeklärte Frage der konkreten Tilgung auf zukünftig notwendige Diskussionen in Richtung EWS hin. Ein EWS mit einem Europäischen Finanzminister an der Spitze würde das Ende des Einstiegs in eine Transferunion darstellen – sie wäre vollendet. Allerdings müßten hierzu die Europäischen Verträge geändert werden, was zeitaufwendiger und schwieriger sein dürfte als ein zeitlich befristeter Fonds.