© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Mit Spekulation reich oder arm werden
Privates „Daytrading“: In der Corona-Krise boomt der Kauf und Verkauf von Wertpapieren am gleichen Tag
Thomas Kirchner

Der Lockdown wegen der Corona-Pandemie verbannte Millionen in ihre Wohnungen. Viele, die nicht per Homeoffice weiterarbeiten konnten, bekamen Langeweile, der Fernsehprogramme oder der Amazon-Prime-Filme wurden sie schnell überdrüssig. Für den Streaminganbieter Netflix entwickelte sich die Krise zum Jungbrunnen: Im ersten Quartal stieg die Zahl seiner Abonnenten um 15,8 auf weltweit 182,9 Millionen – im Gesamtjahr 2019 gewann das US-Unternehmen nur 9,6 Millionen Neukunden. Das Nettoergebnis verdoppelte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 709 Millionen Dollar. Der Aktienkurs stieg seit März von 275 auf 400 Dollar.

Andere fragten sich hingegen: Läßt sich mit Netflix oder Disney+ nicht besser Geld verdienen? Die Kasinos sind geschlossen, das Milliardengeschäft der Sportwetten liegt mangels Fußball- und Baseballspielen am Boden. Das private „Daytrading“, der Kauf und Verkauf von Wertpapieren am gleichen Tag, erfreut sich daher zunehmender Beliebtheit. In den USA registrieren Onlinebroker eine Welle von Kontoeröffnungen. Im April verzeichnete der 1982 in Kalifornien gegründete Anbieter E-Trade sogar eine Verdreifachung der Transaktionen gegenüber dem Vormonat. Australien erlebt eine Verdopplung der Börsengeschäfte von Privatanlegern, von denen elf Prozent als „Daytrader“ gelten. Für Deutschland sind noch keine aktuellen Zahlen bekannt.

Die „Daytrader“ versuchen, wie auch langfristige Investoren, Trends zu folgen. Der Unterschied liegt in den Methoden: Langfristanleger analysieren Fundamentaldaten, um Kapital in dauerhafte Entwicklungen zu investieren. „Daytrader“ versuchen anhand der Marktdynamik kurzfristigen Börsentrends zu folgen, die Stunden, Minuten oder nur Sekunden dauern. Viele sehen das als Zockerei. Doch das eingesetzte Kapital ist trotzdem in Firmen investiert, selbst wenn es im Sekundentakt von einer Aktie in eine andere umgeschichtet wird.

Zudem schafft das häufige Handeln Liquidität: Wenn ein Anleger eine Aktie verkaufen will, muß er nicht warten, bis sich ein langfristiger Anleger zu Zukäufen aufrafft, sondern kann sie jederzeit an kauffreudige „Daytrader“ abstoßen. Langfristige Anleger profitieren also von deren Aktivitäten. Unterscheiden muß man „Daytrading“ vom Hochfrequenzhandel, der erst durch Aufsichtsbehörden ermöglicht wurde, die Wettbewerb unter Börsen förderten. So viele alternative Handelsplätze entstanden, daß der Finanzmarkt zerstückelt und Kursdifferenzen möglich wurden. Hochfrequenzhändler profitieren von solchen Differenzen, nicht jedoch von Trends.

Kurzfristige Spekulation auf Kursschwankungen gibt es schon lange, sowohl unter Profis als auch Amateuren. Richtig in Mode kam „Daytrading“ während der New-Economy-Blase vor der Jahrtausendwende, als hohe Kursschwankungen in Verbindung mit dem ausgebauten Internet die Ausführung von zahlreichen Wertpapiergeschäften innerhalb kürzester Zeit auch für Amateure ermöglichten. In Taiwan ist „Daytrading“ heute Volkssport. Japaner suchen ihr Glück eher in Devisenspekulationen.

Treibt das Finanzamt Privathändler in den Ruin?

Für Makler sind „Daytrader“ eine lukrative Kundengruppe, denn ihre Provisionen summieren sich durch die vielen Transaktionen. Hohe Kosten wiederum schmälern die Gewinne der Hobbyspekulanten. Die Rekrutierung neuer Kunden ist deshalb wichtig für die Branche. Und manch schwarzes Schaf setzt neben Verlockungen schnellen Reichtums auch unlautere Methoden ein. So wird berichtet, daß Kunden mancher „Daytrading“-Makler Kursdaten verzögert erhalten und die Makler Kursdifferenzen in die eigene Tasche stecken. Andere Makler setzen Kunden unter Druck, viel zu handeln, was Provisionen generiert. Es sind die üblichen Methoden der unlauteren Seite des grauen Kapitalmarkts, mit denen unbedarfte Möchtegern-“Daytrader“ abgezockt werden.

Gefährlich für den Geldbeutel ist nicht das „Daytrading“ an sich, sondern Spekulation auf Kredit. Um auch bei kleinen Kursschwankungen profitieren zu können, setzen „Daytrader“ häufig Wertpapierkreditlinien ein oder nutzen Derivate, die ihnen zusätzliche Hebel verschaffen. Mit ein paar tausend Euro Einsatz kann man so sechsstellige Beträge bewegen. Im Extremfall können Hobbyspekulanten mehr verlieren, als sie eingesetzt haben. So geschehen während der negativen Kurse beim Rohöl im April, als ein Händler Schlagzeilen machte, der plötzlich neun Millionen Dollar Schulden hatte. Glück im Unglück: Weil die Computer der Maklerfirma der negativen Kurse wegen versagt hatten, zeigte sie sich kulant und ersetzte den Verlust.

Pech hingegen hatte Uli Hoeneß, dessen unversteuerter Gewinn aus Devisen-„Daytrading“ fiktiv war – tatsächlich machte er Verluste, die aber mit steuerpflichtigen Gewinnen nicht voll verrechnet werden konnten. Der frühere FC-Bayern-Präsident war nur die Vorhut, denn der Fiskus tut alles, „Daytrader“ zu vergraulen. Ab 2021 gelten neue Regeln für das Verrechnen von Verlusten und Gewinnen aus Wertpapiergeschäften, die manche steuerlich ruinieren werden. Denn im „Daytrading“ ist es üblich, viele verlustbringende Transaktionen zu haben. Die Kunst liegt darin, mehr an den gewinnbringenden zu verdienen, als man an Verlusten hat.

Wird die Verrechnung eingeschränkt, kann die Steuerschuld höher ausfallen als der Nettogewinn. Besonders aktive „Daytrader“ werden dann der Steuer wegen insolvent. Das Finanzamt verhindert so nicht Spekulation, sondern treibt „Daytrader“ noch tiefer in den Ruin. All das wird sicher weiterhin für Schlagzeilen sorgen – etwa wenn die neuen Steuervorschriften von den Gerichten gekippt werden. Wer trotz der Risiken sein Glück im „Daytrading“ suchen will, sollte auf niedrige Gebühren, Ausführung der Aufträge zu Marktkonditionen sowie ausreichende Kapitaldecke des Maklers achten.

 bafin.de

U.S. Securities Commission on day trading:  www.sec.gov





Schnelle Gewinne mit hohem Risiko

Wer Anfang 1985 Dax-Aktien für 10.000 D-Mark kaufte, besaß ein Jahr später Papiere im Wert von 16.500 D-Mark. Doch der „Schwarze Montag“ vom 19. Oktober 1987 vernichtete von Hongkong über Frankfurt bis New York Milliardenwerte. Wer aber im Dax investiert blieb, hatte im Januar 1990 wieder 23.000 D-Mark im Depot. Damals liefen An- und Verkauf via Banken, Makler und Telefon, die Kurse entnahm der Privatinvestor aus Videotext, Radio oder Handelsblatt & Co. Dank Smartphone kann längst jeder „Börsenhändler“ werden. Und eine ganze Industrie ist rund um das „Daytrading“ entstanden: Nicht nur Makler verdienen gut. Bücher und Seminare verkaufen sich blendend, wie Software, die verspricht, zuverlässige Kauf- und Verkaufssignale zu erzeugen. Doch es gibt Schätzungen, nach denen 80 bis 95 Prozent der „Daytrader“ Verluste verbuchen, im Schnitt etwa ein Drittel ihres eingesetzten Kapitals. Allerdings: In der Sportwettenbranche werden allein in Deutschland jährlich zweistellige Milliardenbeträge in den Sand gesetzt – und der Fiskus ist hier mit fünf Prozent immer dabei. (fis)