© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

„Da ist irre viel abkassiert worden“
Leiharbeit und Werkverträge: Das Outsourcing zur Umgehung von Lohn- und Sozialstandards ist keine deutsche Spezialität
Christian Schreiber

Anläßlich Hunderter Corona-Infektionen stehen die deutschen Großschlachthöfe seit Wochen im medialen Blickfeld. Nun sind auch 147 Mitarbeiter in einem niederländischen Schlachthof des Vion-Konzerns in Groenlo unweit von Vreden im Münsterland positiv auf Sars-Cov-2 getestet worden. Laut dem Lokalblatt De Gelderlander leben 79 der infizierten Arbeitsmigranten in Deutschland und seien bei Leiharbeitsfirmen angestellt.

In Wien ist hingegen die halbstaatliche Österreichische Post AG in die Schlagzeilen geraten: „Heer verteilt nun Briefe“ titelte die Kronenzeitung. Zuvor waren in den Verteilzentren in Wien-Inzersdorf und Hagenbrunn bei Korneuburg (Niederösterreich) 138 Corona-Infektionen festgestellt worden. Ein Teil der Postmitarbeiter wohnte in einem Asylheim in Wien-Erdberg, das unter Quarantäne gestellt worden war. Die bei einer Leiharbeitsfirma angestellten Araber und Somalier seien dennoch mit Bussen in die Logistikzentren gebracht worden. Die Verteilung von Paketen und Briefen sowie die Desinfektion mußten nun Soldaten übernehmen.

Hinzu kommt eine politische Dimension: Die drei obersten Post-Manager verdienten 2018 je 1,8 Millionen Euro – das Fünffache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Frank Appel, Chef der vom Umsatz her 30mal größeren Deutschen Post AG, kam auf 8,2 Millionen Euro Jahresgehalt. Verwaltet wird die staatliche Post-Beteiligung von ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel, der im Herbst den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ablösen will. Bereits 2019 stand die Österreichische Post in der Kritik, weil sie Adreßdaten mit mutmaßlicher Parteiaffinität für Wahlwerbung verkauft haben soll.

„Nicht mehr krank zur Arbeit kommen“

In Deutschland gab es in Amazon- oder Postverteilzentren zwar ebenfalls einige Corona-Fälle, doch bislang steht nur die „moderne Sklaverei“ in der Fleisch­industrie (Pfarrer Peter Kossen, JF 21/20) auf der politischen Agenda. Das 2017 verabschiedete Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft hat an unzumutbaren Zuständen und der Ausbeutung wenig geändert. Nun soll es ein „Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft“ richten: Ab 2021 soll das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebes zulässig sein. Werkverträge und Leiharbeit wären damit nicht mehr möglich, versprach Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Über das DGB-Projekt „Faire Mobilität“ sollen die meist aus Rumänien oder Bulgarien stammenden Beschäftigten in ihrer Heimatsprache über ihre Rechte und die Arbeitsvorschriften aufgeklärt werden. Zudem soll es mehr Kontrollen und Mindeststandards bei der Unterbringung geben: Die Arbeiter „wohnen zu eng aufeinander. Sie haben zu kleine Wohnungen, zu viele Leute sind darin, es gibt zu wenig Sanitärräume. Das ist ein Riesenproblem“, klagt Thomas Bernhard von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG).

Der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) hält wenig von den Plänen. Heil lasse sich von den Gewerkschaften „aufhetzen“, meinte VDF-Geschäftsführerin Heike Harstick. Der SPD-Minister stigmatisiere ihre Branche: Das Verbot von Werkverträgen in großen Fleischbetrieben – aber nicht für Betriebe des Fleischerhandwerks – sei „eine willkürliche Diskriminierung“. Immerhin gestand der VDF die „sofortige Abschaffung der Beschäftigung auf Basis der A1-Regelung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes in der gesamten Fleischwirtschaft“ zu: Denn eine Beschäftigung ohne „Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ermutigt dazu, krank zur Arbeit zu kommen“, so der VDF. Auch „ein Prüfungsrecht des Auftraggebers zur Einhaltung der Arbeitszeiten von Werkvertragsarbeitnehmern“ soll es künftig geben.

Warum der VDF in heller Aufregung ist, schilderte Andrea Fink-Keßler kürzlich im Deutschlandfunk: „In Dänemark hatte Danish Crown 30 Euro für einen Schlachter bezahlt in der Stunde. Dann haben die ab 2005 angefangen, die Schweine nach Deutschland zu fahren, und dort mußten sie nur 15 bis 13 Euro bezahlen“, erklärte die Chefin des Verbandes der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung (VLhF). Deutschland sei als „Billiglohnland“ bekannt – dank der Werkverträge und Subunternehmern, die maximal zehn Euro bezahlen. Davon gingen auch noch die Kosten für den Schlafplatz, die Arbeitskleidung und die Werkzeuge ab: „Da ist irre viel abkassiert worden in dem System“, so die VLhF-Vorsitzende.

 www.faire-mobilitaet.de

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