© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Zwischen Polit-Talk und realen Treffen
Formate, Kanäle, Netzseiten: Einige Youtuber der „Gegenöffentlichkeit“ testen neue Ansätze
Boris T. Kaiser

Die linke Meinungseinfalt in den Mainstreammedien hat im Internet inzwischen eine Vielzahl von alternativen journalistischen und kommentierenden Angeboten geschaffen. Vor allem auf Youtube tummeln sich, trotz der immer restriktiver werdenden Richtlinien zur Verhinderung sogenannter „Fake News“ und Haßrede, mehr und mehr Gegenstimmen aus dem rechtskonservativen Spektrum (JF 28/19). Kürzlich sind einige neue Ansätze, Projekte und Protagonisten zu dieser Szene der „Gegenöffentlichkeit“ dazugekommen. 

Einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste patriotische Youtuber ist Timm Kellner, besser bekannt als Tim K.  (229.000 Abonnenten). Kein anderer regierungskritischer deutscher Youtuber hat mehr Zuschauer. Kaum eines seiner Videos hat weniger als 100.000 Aufrufe. Seit Anfang des Jahres versucht der frühere Polizist sein bewährtes Format der Selfie-Videos am Schreibtisch um einen „Polit-Talk“ zu erweitern. Youtuber wie Feroz Khan (JF 3/20) und Lisa Licentia (JF 10/20) waren unter anderem bereits zu Gast bei „Tim Kellner trifft“. 

Sein jüngstes Projekt heißt „ProFortis Deutschland“. Auf der Alles-auf-einen-Blick-Plattform pro-de.tv sollen patriotische Internetnutzern neben den Blogeinträgen und Videos von Kellner selbst auch die Beiträge zahlreicher anderer gleichgesinnter Meinungsmacher wie die von Martin Sellner oder Michael Stürzenberger zur Verfügung stehen. Ziel ist ein „uneinnehmbares Bollwerk für die Meinungsfreiheit, da es auf sicheren deutschen Servern läuft und im Notfall auf ausländischen Servern weiter existiert und funktioniert“. Das „willkürliche Löschen, das Unterdrücken von unerwünschten Meinungen und die Zensur von staatlicher oder privatwirtschaftlicher Seite“ soll so nicht mehr möglich sein. Auch ein eigener Nachrichtenbereich mit Meldungen oft vernachlässigter Themen wie Migrantenkriminalität findet sich auf der Netzseite, auf der sich Nutzer einen Account anlegen können.

Zudem versucht der reichweitenstarke Kellner mit dem Netzwerk „Für die Eigenen“ eine „Sammlungsbewegung“ auf die Beine zu stellen, „welche die konservativen Kräfte in Deutschland wieder bündeln möchte“.

Scharfe Kritik untereinander 

Über seinen eigenen Online-Shop verkauft das führende Mitglied eines Motorradclubs zudem seine insgesamt neun Bücher sowie zahlreiche Fanartikel. Den Verkauf von Produkten mit dem Konterfei seiner Lieblingsfeindin, Sawsan Chebli, ließ diese ihm kürzlich verbieten. Es war nicht die erste juristische Auseinandersetzung der beiden. Nachdem Kellner Chebli öffentlich als „islamische Sprechpuppe“ bezeichnet hatte, mußte er sich vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten wegen des Vorwurfs der Beleidigung verantworten. Damals sprachen die Richter Kellner frei (JF 11/20).

Das hielt das ZDF allerdings nicht davon ab, Kellner in der Reportage „Wurzeln der Gewalt: Rechter Terror in Deutschland“ in einem Atemzug mit den vermeintlich rechtsterroristischen Mördern von Hanau, Halle, Kassel und des NSU zu nennen. „Was zum Teufel habe ich in so einer Dokumentation verloren?“, fragt Kellner in einem Kommentarvideo zu dem ZDF-Film auf Youtube. Seit Ausstrahlung des Beitrags habe ihn eine Flut von Beleidigungen und Morddrohungen erreicht. Kellner will nun juristisch gegen die, wie er sagt, „unterirdische, propagandistische Hetzkampagne“ gegen ihn vorgehen und ruft seine Anhänger auf, ihn dabei finanziell zu unterstützen. 

Nach der Flüchtlingskrise von 2015 erwies sich vor allem die Debatte um die Corona-Verordnungen als starker Katalysator für die Gegenöffentlichkeit. Zu den härtesten Kritikern des von der Bundesregierung beschlossenen „Lockdown“ gehört Hagen Grell (85.800 Abonnenten). Der Publizist bezeichnet sich selbst als „Truther“, Kritiker bezeichnen ihn als Verschwörungstheoretiker. Grell sieht sich lieber als einen „Sucher der Wahrheit, egal wo diese ihn hinführe“. Darauf angesprochen, warum auch viele rechte Meinungsmacher aktuell hinter den staatlichen Schutzmaßnahmen stehen, sagt Grell: „Ich denke, wir haben es mit einer Schieflage der verläßlichen Informationen zu tun, insbesondere die Regierung produziert Fake News. Kommt Panik dazu, denken viele auf Irrwegen.“ 

Ähnlich wie Timm Kellner hat Grell mit frei3.de eine eigene Online-Plattform aufgebaut, auf der Videomacher ihre Produktionen in „Studios“ abspeichern und damit für Zuschauer und Nutzer sichern können. Allerdings ist „FreiHoch3“ auch in die Kritik geraten. In die Entwicklung hat Grell nach eigenen Angaben etwa 140.000 Euro investiert; rund die Hälfte davon aus Fan-Spenden. Kritiker bezweifeln öffentlich, daß die Entwicklung so viel Geld gekostet habe. Der Gründer des Online-Portals MassengeschmackTV (JF 36/18), Holger Kreymeier, macht den Vorwurf neben der vermeintlich simplen Programmierung der Seite an dem Umstand fest, daß dort zum Abspielen der Videos weiterhin Youtube genutzt wird, von deren Zensur Grell sich mit seinem Projekt doch eigentlich unabhängig machen wollte. 

Gegenüber der JF räumt Grell zwar eigene Fehler ein, so die „völlige Fehleinschätzung, wie groß der Aufwand für so ein Projekt ist“. Insgesamt spricht er aber von einer „epischen Schmierkampagne“ seiner Gegner, die „teilweise aus Eigeninteresse“ nur einem „vielversprechenden Konkurrenzprodukt mit frei erfundenen und völlig unbewiesenen Vorwürfen“ schaden wollen.

Zuschauer sollen sich vernetzen

Streit ist in der Youtube-Szene keine Seltenheit, wie der „Digitale Chronist“ (56.800 Abonnenten) der JF erzählt. Der selbständige IT-Dienstleister hat seine Tätigkeit in der „Gegenöffentlichkeit“ im Zuge der Silvesternacht 2015 zunächst als Blogger begonnen und tritt heute bei Youtube vor allem mit Streams und Videoschalten zu aktuellen Themen und Gästen in Erscheinung. Er habe selbst die Erfahrung mit Leuten gesammelt, „die sich die Mühe machen, eigene Videos über Konkurrenten zu produzieren, anstatt die Leute über die Verhältnisse in unserem Land aufzuklären“.

Der dreifache Familienvater betont aber auch die gute Zusammenarbeit zumindest eines Teils derer, „die patriotisch arbeiten“. Bei seinen Live-Schalten kooperiert er unter anderem mit dem Rosenheimer AfD-Kommunalpolitiker Stefan Bauer, der auf seinem eigenen gleichnamigen Kanal (40.300 Abonnenten) in Demo-Reportagen „Corona-Skeptiker“ zu Wort kommen läßt oder Migranten auf der griechischen Insel Lesbos interviewt. 

Unaufgeregter geht es auf dem Kanal von Milena Preradovic zu. Die ehemalige RTL-Moderatorin ist mit ihrem Gesprächsformat „Punkt. Preradovic“ (38.500 Abonnenten) noch recht neu im Youtube-Spiel. Dennoch hat die Journalistin mit ihrem Interview-Kanal bereits für einiges Aufsehen gesorgt, da sie mit Wolfgang Wodarg und Stefan Homburg zwei der profiliertesten Kritiker der Corona-Regierungsmaßnahmen zum Gespräch bat. 

Die Videos fanden insbesondere in den sozialen Netzwerken enorme Verbreitung. Preradovic und ihrem Team ist es wichtig, die journalistische Distanz zu wahren. Sie sehen sich, wie ein Mitarbeiter auf Anfrage betont, nicht als treibende Kraft der Gegenöffentlichkeit oder oppositionelle Meinungsmacher. Dies träfe allenfalls auf die Gäste zu. Vielmehr greife die Sendung wie die Kanalinfo verspricht „jede Woche ein heißes und kontroverses Thema auf und diskutiere mit meinungsstarken Koryphäen – provokant und informativ“.

Ganz klar aktivistisch motiviert ist dagegen die Youtuberin Miriam. Auf ihren Kanälen „Miriam“ (9.700) und „Miriam Hope“ (7.000 Abonnenten) und ihrer Seite dieallianzdesguten.com ruft die blonde Frau mit dem Hang zu den extravaganten Kopfbedeckungen und der Widerstandsrhetorik, „vernünftige und bürgerliche Patrioten“ aus dem gesamten deutschsprachigen Raum dazu auf, bei realen Treffen „ein starkes Netzwerk aufzubauen“ und „gemeinsam innovative Ideen auszuarbeiten“. 

Sie ist damit Teil eines neuen Trends, der aktiv versucht den Online-Protest aus dem Internet zurück in die Offline-Welt zu tragen.