© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Sitz zurück, Film ab!
Während Lichtspielhäuser noch geschlossen sind, erfahren Autokinos eine Renaissance
Paul Leonhard

Als die Autos noch groß, schön und schwer waren, als Chrom blitzte, sie auf ihren Motorhauben Kormorane, Raketen, Düsenjäger, nackte Frauen oder grimmig blickende Indianerköpfe trugen, ihre Sitze Bänke waren, die einer lederbezogenen Couch glichen, waren auch Autokinos der letzte Schrei. Erfunden wurden sie wie all die Straßenkreuzer von Ford, General Motors und American Motors in den USA, wo es in den 1950er und 1960er Jahren um die 4.000 derartige Kinos gab, so viele, daß sie zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Kinosäle der Innenstädte wurden. 

In der Bundesrepublik konnte sich dieser Trend nie so richtig durchsetzen, auch weil die Deutschen lieber kleinere sparsame Autos fuhren. In Käfer und Ente klappte es mit dem entspannten Kinoerlebnis nicht so recht. Immerhin gab es hierzulande Ende der sechziger Jahre etwa 40 Autokinos, vor Corona einschließlich der saisonalen noch 20; mit insgesamt mehr als 313.000 Zuschauern (Stand 2017). Selbst die Besitzer von Trabant, Wartburg, Skoda oder Lada fanden diese Art des Filmschauens zu zweit offenbar kultig, denn das 1977 im brandenburgischen Zempow eröffnete einzige Autokino der DDR existiert noch heute.

Kartenpreise starten bei acht Euro

Daß das Autokino eine Renaissance erfährt, bekommen derzeit die Mitarbeiter der Landesmedienanstalten und der Bundesnetzagentur zu spüren, denn die einen müssen medienrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen ausstellen und die anderen UKW-Frequenzen für Tonübertragungen genehmigen: Deutschlandweit schießen neue Autokinos wie Pilze aus dem Boden. Allein bis Mitte April gab es Anträge auf Ausnahmegenehmigungen für mindestens 120 temporäre „Popup-Autokinos“, denn bei keiner anderen Kulturveranstaltung im öffentlichen Raum ist der staatlich vorgegebene Sicherheitsabstand schon durch das Fahrzeugblech garantiert. Und eine Party zu machen geht auch nicht: Im Auto dürfen nur zwei Personen sitzen. Ausnahmen gibt es bei Kinderfilmen, dann dürfen zwei Kinder bis 14 Jahre dabei sein. 

In Dresden startete beispielsweise am 12. Mai das Autokino mit der größten Leinwand (500 Quadratmeter), wie die Betreiber versichern. 500 Autos haben hier Platz – was das angeht kein Rekord. Das Autokino in Essen verfügt über mehr als 1.000 Stellplätze, das seit 1967 in Köln-Porz bestehende ebenfalls. Beide zählen damit zu den größten Autokinos Deutschlands. Sollten sie ausgebucht sein, bedeutet das für die Veranstalter immerhin 2.000 zahlende Besucher. Das erklärt auch, warum die für Autokinos freigegebenen Plätze für Konzertveranstalter interessant sind.

Die Fensterscheibe sollte gut geputzt sein

Das älteste Autokino ist übrigens das in Frankfurt-Gravenbruch und verfügt über zwei Stellplätze für maximal 600 beziehungsweise 450 Autos. Zur Premiere im März 1960 wurde das Musical „Der König und ich“ gezeigt. Der Eintritt kostete 2,75 Mark. Heute beginnen die Kartenpreise bei acht Euro pro Person.

Wer ausreichend Stauerfahrung auf deutschen Autobahnen hat, wird einschätzen können, ob er sich und seinem Partner guten Gewissens einen Besuch im Autokino empfehlen kann. Aktuell gibt es – zumindest gefühlt – am Rand jeder Kreisstadt eines. Die Eintrittskarten müssen im Internet gekauft und am heimischen Computer ausgedruckt werden. Wichtig ist eine geputzte Frontscheibe, ausreichend Verpflegung, eine warme Decke zum Kuscheln und eine geladene Autobatterie. Der Filmton wird über die UKW-Frequenz des Autoradios ins Fahrzeug übertragen. Falls dies nicht funktionieren sollte, können sich die Zuschauer bei den meisten Anbietern kleine Boxen leihen.

Dann gilt es nur noch den Vordersitz nach hinten zu schieben und es sich gemütlich zu machen. Insofern dürfte der Sommer 2020 gewiß einzigartig werden und in den kommenden Jahren für Gesprächsstoff sorgen: Weißt du noch, damals in Corona-Zeiten, im Autokino, weil die anderen Lichtspielhäuser noch geschlossen hatten? Keine Ahnung, was lief, aber schön war es. Wir haben geraucht, Bier aus der Kühlbox getrunken und mitgesungen. Und sogar unser Baby hatten wir dabei.