© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Still ruht der See
AfD: Das bisherige Bundesvorstandsmitglied Andreas Kalbitz klagt vor dem Schiedsgericht gegen seinen Rauswurf / Will die Basis einen Mitgliederparteitag?
Christian Vollradt

War es das nun schon mit der großen innerparteilichen Aufregung um die Annullierung der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz? Oder ist es nur die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm – und die Getreuen des bisherigen Brandenburger Landesvorsitzenden sammeln sich erst für ihre Attacke auf ihre Gegenspieler in den eigenen Reihen, also vor allem im Bundesvorstand? Manch ein Beobachter des Geschehens stellte jedenfalls mit einem gewissen Erstaunen fest, daß von einem großen Knall im blauen Kosmos derzeit nicht die Rede sein kann. Das eine oder andere Scharmützel in den sozialen Medien mal ausgeklammert. 

Andreas Kalbitz selbst hat zunächst einen ersten Schritt auf dem Rechtsweg getan. Er stellte die Rechtmäßigkeit der Entscheidung seiner früheren Kollegen im Bundesvorstand in Frage und reichte eine Klage beim Bundesschiedsgericht der AfD gegen die Annullierung seiner Mitgliedschaft ein. Nun müssen die ehrenamtlichen Parteijuristen sich mit dem Fall befassen – ein nicht ganz unheikles Unterfangen. Wohl auch deshalb gilt als wahrscheinlich, daß sich die drei Kammern des Schiedsgerichts zu einem Senat zusammenschließen – die Entscheidung darüber war bei Redaktionsschluß noch nicht getroffen worden. 

Abstimmung über           Mitgliederparteitag

Bis zur Urteilsfindung könnten gut zwei Wochen vergehen. Möglicherweise fordern die Richter die beiden Streitparteien zunächst auf, noch weitere Unterlagen einzureichen. Auf Ebene der AfD wäre die Entscheidung des Schiedsgerichts dann letztinstanzlich; es wird allerdings allgemein damit gerechnet, daß die unterlegene Seite mit Sicherheit dann ein ordentliches Gericht anrufen wird. Bis es zu einer endgültigen Entscheidung kommt, dürfte es also noch wesentlich länger dauern. 

Richtungsübergreifend äußerten jedenfalls mehrere AfD-Politiker, daß trotz aller persönlichen Zerwürfnisse und heftigen Kontroversen an der Spitze der Partei die Situation im Bundesvorstand nicht mit derjenigen zu Zeiten der Konflikte zwischen Bernd Lucke und Frauke Petry 2015 oder Frauke Petry und Jörg Meuthen zwei Jahre danach vergleichbar sei. Es finde durchaus eine Zusammenarbeit bei Sachthemen statt, heißt es aus der Partei. Auch die Sorge um den Zusammenhalt der Bundestagsfraktion erwies sich – derzeit – als offenbar unbegründet. Bei der Fraktionssitzung am Dienstag vergangener Woche war die Personalie Kalbitz nach übereinstimmenden Berichten von Teilnehmern jedenfalls  „kein Thema“, niemand meldete dazu offiziell Gesprächsbedarf an. 

Anders könnte das an der Basis sein.In der AfD halten es manche nicht für ausgeschlossen, daß der „Fall Kalbitz“, den einige seiner Anhänger gerne zum „Fall Meuthen“ umdeuten würden, auch Einfluß auf das Mitgliedervotum zum Thema Parteitag haben könnte. Möglicherweise befeuere es diejenigen, die auch innerhalb der AfD „denen da oben mal kräftig den Marsch blasen wollen“, wie ein Parteifunktionär unkte. 

Bereits im August vergangenen Jahres hatte der Bundestagsabgeordnete und stellvertretende bayerische Landesvorsitzende Hansjörg Müller einen Entscheid pro Mitgliederparteitag auf Bundesebene gefordert. Spätestens seit seiner Entmachtung innerhalb der Fraktionsführung profiliert sich der ehemalige Parlamentarische Geschäftsführer als jemand, der vorrangig gegen Vorstandsentscheidungen angeht. Müller und seine Mitstreiter wettern in der Begründung gegen eine „Oligarchisierung“ der AfD und wollen eine Rückkehr zur „basisdemokratischen Bewegung besorgter Bürger“. Dagegen argumentieren Bundesvorstand, mehrere Landes- und Bezirksvorstände sowie neben zahreichen Kreisvorständen auch die Programmkommission für die Beibehaltung des Delegiertensystems. Mitgliederparteitage mit über 10.000 Teilnehmern seien schlicht zu teuer und in der Organisation zu aufwendig. Außerdem gewährleisteten Delegiertenparteitage, „daß alle Landesverbände gemessen an ihrer jeweiligen Mitgliederzahl repräsentativ vertreten werden“.

Bis zum 12. Juni können die Mitglieder ihr Votum abgeben. Nehmen mindestens 20 Prozent von ihnen teil und spricht sich dann mehr als die Hälfte von denen für den Antrag aus, müßte die AfD noch in diesem Jahr einen Mitgliederparteitag abhalten. In der aktuellen Situation sei das faktisch unmöglich, heißt es in Parteikreisen. „Wir hoffen auf die Vernunft der Mehrheit“, seufzte ein AfD-Mitglied. 

 Eine ausführliche Insa-Umfrage zum Thema AfD finden Sie auf Seite 12 dieser Ausgabe.