© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Mehr Geld für den Süden
Corona-Krise: Ursula von der Leyens 2,4-Billionen-Plan zwingt die EU-Länder zu höherer Kreditaufnahme
Albrecht Rothacher

In Corona-Zeiten ist es wie beim Metzger in alten Zeiten: Darf es ein bißchen mehr sein? Um „die Konjunktur anzukurbeln und Menschenleben, Existenzen und Arbeitsplätze zu schützen, schlägt die Kommission einen Europäischen Aufbauplan im Umfang von 2,4 Billionen Euro vor“, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorige Woche. „Mit dem, was wir heute investieren, sichern wir nicht nur das, was wir in 70 Jahren aufgebaut haben, sondern bahnen auch den Weg für eine klimaneutrale, digitale, gerechte und international starke Union.“

Zum 1,1-Billionen-EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 sowie den 540 Milliarden Euro der Pandemie-Krisenhilfe des Euro-Rettungsfonds ESM und dem Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank (EIB) für Firmen und Beschäftigte sollen zur „vorübergehenden Verstärkung“ weitere 750 Milliarden Euro hinzukommen: Das Instrument „Next Generation EU“ solle den EU-Haushalt „bis 2024 mit neuen Mitteln ausstatten, die auf den Finanzmärkten mobilisiert“ würden. Das geht sogar über jene 500 Milliarden Euro hinaus, auf die sich Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron geeinigt hatten.

Ein Großteil der Corona-Hilfen soll nach Italien und Spanien fließen. „Unterm Strich heißt dies, daß die Steuerzahler in den Nordländern (darunter vor allem in Deutschland) Ausgaben in den Südländern finanzieren sollen“, warnte der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer, auf dem Nachrichtenportal Euractiv.de. Das sei „ein ziemlich schiefes Bild“, wies die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ihren Ex-Kolumnisten Mayer zurecht. Zumindest die Italiener hätten „nie auch nur einen Cent an Hilfskrediten erhalten“. Italien habe sich ab 2010 sogar an den Euro-Rettungsbürgschaften mit 125 Milliarden Euro beteiligt. Das sei „nicht viel weniger als das deutsche Garantievolumen von 190 Milliarden Euro“.

Ja, auch beim EU-Haushalt war Italien bislang mit jährlich fünf Milliarden Euro Nettozahler (Deutschland: 13,5 Milliarden), aber Spanien, Portugal und Griechenland sind seit Jahrzehnten Nettoempfänger. Und bei den Target-2-Salden im EZB-System – den „Überziehungskrediten“ bei grenzüberschreitenden Euro-Zahlungen – sind alle Südländer tief im Minus: Die Banca d’Italia hatte Target-Verbindlichkeiten von 513 Milliarden, die Banco de España von 431 Milliarden. Die Deutsche Bundesbank wies hingegen im April Target-Forderungen von 919 Milliarden Euro aus. Auch das 750 Milliarden Euro schwere Pandemie-Notfallkaufprogramm der EZB (PEPP), das im März startete, darf nicht vergessen werden.

Eine Schuldenunion durch die Hintertür?

Das normale EU-Budget von 1,1 Billionen Euro für sieben Jahre – zumeist für Agrarhilfen, Regionales, die Super-Digitalisierung und den „Green-Deal“ (JF 11/20) des sozialistischen Vizepräsidenten Frans Timmermans – wäre mit 1,1 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr noch verschmerzbar. Die deutschen Parteien im Europaparlament unterstützen dennoch die Zusatzausgaben – außer der AfD sowie den „sparsamen Vier“: Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Schweden fühlen sich von Merkel und von der Leyen verraten und verkauft.

„Wir wollen helfen, wir wollen solidarisch sein, aber wir sind auch den Menschen in unserem Land verpflichtet“, erklärte der österreichische Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Deutschlandfunk. „Wir wollen eine zeitliche Befristung, damit es wirklich eine Corona-Soforthilfe ist und nicht zu einer Schuldenunion durch die Hintertür wird.“

Brüssel kann laut den EU-Verträgen keine eigenen Steuern verlangen. Auch die geplante Plastikabgabe oder eine mögliche CO2- oder Digitalsteuer würden von den nationalen Behörden erhoben. Die EU darf seit ihren Anfängen keine Schulden machen und muß ausgeglichen bilanzieren – für Kredite wie bei der Euro-Rettung und nun bei Corona müssen die EU-Bürger anteilig aufkommen: „Zur Not zahlen wir die Schulden mit Beiträgen der Mitgliedsländer zurück“, verriet der lettische Kommissionsvize Valdis Dombrovskis in der Welt. Doch beim Marshallplan (1948 bis 1952) ging es um den Wiederaufbau des kriegszerstörten Europas – heute ist nichts zerbombt. Es geht um die Folgen einer hysterischen Corona-Politik, wo Politiker als Krisenmanager versagt haben: Anfangs durften alle China-Rückkehrer unkontrolliert einreisen. Dann wurde die Notbremse gezogen – und die Dienstleistungsbranche, der Tourismus, der Textilhandel und die Autoindustrie wurden abgewürgt.

Die deutsche Staatsverschuldung wird laut Finanzministerium in diesem Jahr wegen der Corona-Hilfen von 59,8 auf über 75 Prozent des BIP steigen. Im Mai waren 7,3 Millionen in Kurzarbeit und 2,6 Millionen arbeitslos. Aber trotz schwindender Steuereinnahmen sollen nun Milliardenpakete mitfinanziert werden, für Länder wie Italien, Spanien, Frankreich, Portugal oder Griechenland, die seit Jahrzehnten ihre Strukturreformen verschlafen und ihre Wettbewerbsfähigkeit – auch durch den Euro – in vielen Sektoren verloren haben.

Ursula von der Leyen versucht die EU-Oststaaten zu ködern, so seien allein Polen acht Prozent der Hilfen zugesagt worden. Mit „Investitionen in Schlüsselbranchen und -technologien, von der 5G-Technik bis zur künstlichen Intelligenz und von sauberem Wasserstoff bis hin zur erneuerbaren Offshore-Energie“, sollen wohl die Skandinavier überzeugt werden. Aber ein Scheitern dieser Finanzpläne ist dennoch möglich, denn für die Finanzpakete braucht es Einstimmigkeit im EU-Ministerrat und die Zustimmung aller 27 Parlamente.

Corona-Aufbauplan „Next Generation EU“: ec.europa.eu





Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP

In der Corona-Pandemie mobilisieren Regierungen und Notenbanken weltweit Billionen an Dollar, Euro, Pfund, Renminbi oder Yen. So kündigte die US-Fed am 23. März und am 9. April ein mehrere Billionen Dollar schweres Anleihekauf- und Kreditprogramm an, um die Liquidität von Banken, Börsen, Firmen und Staat sicherzustellen. Das Pandemie-Notfallkaufprogramm der EZB (PEPP) startete am 26. März und hat einen Gesamtumfang von 750 Milliarden Euro. Die Käufe von Anleihen öffentlicher und privater Schuldner erfolgen zusätzlich zum 2015 gestarteten und am 12. März um 120 Milliarden Euro aufgestockten Asset Purchase Programme (APP). Und wie die Fed kauft die EZB nun selbst kurzfristige Commercial Paper von Firmen oder Papiere mit einer schwachen Bonität (BBB, Baa3) an, um der Wirtschaft zu helfen. Sollte die „Lockerung der Anforderungen an die Sicherheiten“ zu Verlusten führen, wäre die Bundesbank in Höhe ihres EZB-Anteils von 26,4 Prozent mit betroffen. (fis)

 ecb.europa.eu

 federalreserve.gov