© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Totalitärer Kanon totaler Egalität: Das neue New Yorker Museum of Modern Art
Die eigene Geschichte negiert
(wm)

Im Strudel globaler Unübersichtlichkeit scheint nun auch der Kanon der Kunst als definiertes Ordnungssystem und geistige Richtschnur zu versinken. Zu diesem Befund kommt Stephan Berg (Kunstmuseum Bonn) in seiner Kurzanalyse des neuen Ausstellungskonzepts des New Yorker Museums of Modern Art (MoMa). Es nehme Abschied von der im 19. Jahrhundert etablierten Idee des Museums als normativer Ordnungsinstanz. Und damit auch von der „alten Welt“ national gegliederter Übersichtlichkeit, linearer Erzählung und essentieller Sinnstiftung „in der Diktion einer westlichen, weißen, männlichen Perspektive“ (Forschung & Lehre, 4/2020). Dementsprechend löse nun das MoMa, das wie kein anderes für die Beglaubigung dieses „weißen, westlichen Kunstkanons“ gestanden habe, jede Chronologie auf. Um kein „Bildungsort“ mehr sein zu wollen, tausche es bisher gültige kunstgeschichtliche Kategorien von Dada bis Pop-Art gegen „atmosphärische Themenräume“ wie „Von Suppendosen bis fliegenden Untertassen“ aus und ändere seine Präsentation alle sechs Monate. Vor allem aber habe man mit umfangreichen Kunstankäufen aus afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern die eigene Geschichte in einer Weise negiert, die an Geschichtsklitterung grenze. Verstörend wirke dabei nicht das Streben nach globaleren Perspektiven, sondern der völlige Verzicht darauf, die eigene knapp 100jährige Sammlungstradition in einen produktiven Ordnungszusammenhang zu bringen. Die Abkehr vom angeblichen „totalitären Kanon-Diktat“ münde daher in den „Kniefall vor grassierender Unverbindlichkeit“. Nichts aber sei totalitärer als die Behauptung totaler Egalität. 


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