© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Gebeugte Knie
Letztes Gefecht: Das auf die Kuppel des Berliner Stadtschlosses aufgesetzte Kreuz sorgt weiter für Streit
Peter Möller

Es war bereits nach 20 Uhr, als der Kran am Freitagabend vor Pfingsten die filigrane Laterne mit dem dreieinhalb Meter hohen goldenen Kreuz endlich auf die Kuppel des Berliner Stadtschlosses gesetzt hatte und Beifall aufbrandete. Stundenlang hatten zahlreiche Schaulustige vor der umzäunten Baustelle in der Berliner Mitte teilweise seit dem Vormittag darauf gewartet, daß der eigens vor dem mächtigen Eosanderportal des Schlosses in Position gegangene Teleskopkran erst den Baldachin aus Palmenwedeln mit dem Kreuz auf den aus acht Engelsfiguren bestehenden Unterbau hebt, um dann alles zusammen auf den Scheitelpunkt der kupferglänzenden Kuppel emporzuwuchten.

Was zunächst für den frühen Nachmittag angekündigte war, verzögerte sich unter anderem wegen ungünstiger Windverhältnisse, aber auch weil die Engelfiguren noch vor Ort komplettiert werden mußten, immer weiter und obwohl es zeitweise sogar so aussah, als ob das Vorhaben auf den nächsten Tag verschoben werden müßte, harrten die Schaulustigen aus, ja wuchs die Menge sogar noch an.

Dann, als der Kran seine 17,4 Tonnen schwere Last in luftiger Höhe endlich abgesetzt hatte, herrschte zunächst eine fast andächtige Stille, als ob die Zuschauer einen Moment brauchten bis ihnen klarwurde, daß sie – 75 Jahre nachdem das Schloß in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges ein Raub der Flammen geworden war – einem ganz besonderen Augenblick beiwohnten. Denn mit der Komplettierung der Kuppel des Stadtschlosses durch das Aufsetzen der Laterne, das ursprünglich bereits für April geplant war und sich dann unter anderem wegen der Corona-Krise verzögert hatte, wurde in der vergangenen Woche auf geradezu spektakuläre Art und Weise der Schlußstein für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum gesetzt. Die äußere Rekonstruktion der ehemaligen Hohenzollernresidenz mit den drei barocken Fassaden und dem Schlüterhof ist – bis auf den noch fehlenden Figurenschmuck auf den Portalen – nunmehr abgeschlossen.

Kritiker wollen einen „Bruch“ mit der Geschichte

Seit Freitag vergangener Woche also gehört das Schloß damit in seiner maßgeblich von Andreas Schlüter geprägten barocken Gestalt wieder unauflöslich zum Berliner Stadtbild, das jahrhundertelang durch das Schloß geprägt worden war und in das es sich nunmehr wieder so harmonisch einfügt, als sei es nie weg gewesen. Zu diesem Eindruck trägt maßgeblich die mächtige, aber gleichzeitig wohlproportionierte und leicht wirkende Kuppel Friedrich August Stülers bei, die endlich wieder ein wohltuendes Gegengewicht zu dem benachbarten, immer etwas grobschlächtig wirkenden wilhelminischen Dom bildet.

Die Freude über die gelungene Kranaktion machte fast schon wieder vergessen, daß diesem Krönungsakt ein bizarrer Feuilleton-Streit über das Kuppelkreuz und mehr noch über das den Tambour zierende Schriftband vorausgegangen war. Denn nachdem die Sandsteinfassade des Kuppelunterbaus fertiggestellt und die Gerüste abgebaut worden waren, kam vor wenigen Wochen erstmals der umlaufende, auf König Friedrich Wilhelm IV. zurückgehende Widmungsspruch zum Vorschein. „Daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“, steht nun wieder in goldener Schrift auf blauem Grund und erinnert daran, daß die Kuppel bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eine Kapelle beherbergte.

Die in den vergangenen Tagen geäußerten wütenden Angriffe gegen das Schriftband speisen sich vermutlich aus der Erkenntnis der Kritiker, die vielleicht letzte Chance verpaßt zu haben, dem verhaßten Wiederaufbauprojekt in letzter Minuten doch noch einen „modernen“ Stempel aufzudrücken und dem in ihren Augen bis auf die modern gestaltete Fassade zur Spreeseite hin zu historisch genau rekonstruierten Bauwerk einen sichtbaren „Bruch“ zuzufügen. Der Architekturkritiker Nikolaus Bernau beklagte sich denn auch in der Frankfurter Rundschau, daß beim Wiederaufbau des Schlosses zwar über das „monumentale Kreuz“ auf der Kuppel diskutiert worden sei, die Inschrift dagegen bisher keine Rolle gespielt habe und „offenbar weder von Theologen oder Historikern“ auf ihre aktuelle Bedeutung geprüft worden sei.

Doch nicht nur dieses angebliche Versäumnis, das sich Bernau offenbar lieber nicht selbst ans Revers heften möchte, sondern auch der Zeitpunkt der Kuppelfertigstellung stieß ihm übel auf. „Diese christlichen Symbole über dem eigentlich multikulturell gedachten Kulturzentrum werden also ausgerechnet zwischen Himmelfahrt und Pfingsten wieder sichtbar, zwei hohen kirchlichen Feiertagen“, tönte er, räumte aber immerhin ein, daß dies auch „bauplanungsbedingt“ sein könnte.

Forderung nach einem multireligiösen Symbol

Interessant ist, daß Bernau, aber auch andere Kritiker versuchen, die künftige Rolle des Stadtschlosses als Ausstellungsgebäude für die ethnologischen Sammlungen der Berliner Museen gegen das historisch gewachsene Äußere in Stellung zu bringen: „Für die Kritiker der Kreuz-Idee war genau das das Problem, wurden doch unter diesem Symbol Millionen Menschen in Amerika, Afrika und Asien unterdrückt, ermordet, versklavt und ausgebeutet, ihre Kulturen und ihre Glaubenssysteme angegriffen.“

Und auch die von König Friedrich Wilhelm IV. aus Versen der Apostelgeschichte, Kapitel 4, Vers 12, und des Briefes von Paulus an die Philipper, Kapitel 2, Vers 10, zusammengestellte Kuppelinschrift deutet Bernau in diese Richtung, wenn er schreibt, die beiden Ausgangsverse stünden „für die feste Überzeugung der frühen Christen“, alleine den Weg zum „Heil“ zu wissen. „Gerade mit solchen Stellen wurde der evangelische Kampf gegen die Katholiken, aber auch die Unterwerfung etwa Nord- und Südamerikas, Afrikas und Asiens durch Christen legitimiert.“ Nach Ansicht Bernaus wäre es kein Problem gewesen, das Kreuz und vor allem die Inschrift nicht nachzubauen. „Daß es trotzdem gemacht wurde, war eine Entscheidung, über die man Rechenschaft ablegen muß“, fordert der Kunsthistoriker.

Während Bernau also nach Verantwortlichen sucht, startete ein Redakteur der taz, der den Spruch als „beschämend“ kommentierte, auf Twitter kurzerhand eine Umfrage für den „richtigen“ Termin für die erneute Sprengung des Schlosses – die mittlerweile gelöscht wurde, da sie gegen die Twitterregeln verstieß. 

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung geht die Debatte dagegen friedlicher, aber dafür grundsätzlich an und eröffnet die jahrzehntelang geführte Debatte über Sinn und Unsinn der Rekonstruktion des Stadtschlosses aufs neue. „Beim Humboldt-Forum besteht der Geburtsfehler in der Trennung von Form und Inhalt, genauer: von Fassade und Programm des Gebäudes auf dem Berliner Schloßplatz“, behauptet Feuilletonkorrespondent Andreas Kilb, der zudem die Kuppel ebenfalls als „Machtgeste“ Friedrich Wilhelms IV. deutet und das Kreuz gleich als „Knute des Königs“. Mit Blick auf den Vorschlag des Direktors des Berliner Stadtmuseums, Paul Spies, wirbt er dafür, die „Schloßkuppel mit einem multireligiösen Symbol zu bekrönen, ‘Menora, Halbmond und Kreuz, in einer Figur vereint’“.

Besonders scharf äußerte sich der Berliner Rabbiner Andreas Nachama zur Kuppelinschrift und rief die Kirchen in der Jüdischen Allgemeinen zum Widerspruch auf. Der katholische Erzbischof Heiner Koch und der evangelische Landesbischof Christian Stäblein sollten „an der Spitze einer Bürgerinitiative dafür plädieren“, den Spruch zu beseitigen.

Davon war indes am Freitag voriger Woche nichts zu sehen. „Bislang nur Schaulustige, keine Demonstranten“, gab denn auch ein Reporter vor dem Stadtschloß etwas verwundert zu Protokoll. Feuilletonredakteure, so scheint es, demonstrieren nicht gern.