© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

„Bootsleute erzählen“
Stasi-Veteranen schreiben Marinegeschichte
Oliver Busch

Die Deutsche Seereederei (DSR), Staatsreederei der DDR, war die größte Universalreederei der Welt, für die zeitweise 200 Schiffe fuhren. Da die Besatzungen das hohe Privileg genossen, ins kapitalistische Ausland reisen zu dürfen, waren hauptamtliche und informelle Mitarbeiter der „Staatssicherheit“ stets mit an Bord, um unsichere Kantonisten unter den Werktätigen zu identifizieren oder deren Flucht zu verhindern. 

Für die historische Forschung auf diesem zwar kleinen gesellschaftlichen Sektor, auf dem die Verhältnisse im realexistierenden Sozialismus jedoch wie in einer Nußschale zu besichtigen sind, erweist sich die dichte Stasi-Durchsetzung der DSR heute als Problem. Denn die alten Kader, Kapitäne und Funktionäre der DSR  haben „die Erinnerung gekapert“, wie der Hamburger Marinehistoriker Wolfgang Klietz klagt, der selbst seit langem auf dem Feld der DDR-Schiffahrtsgeschichte tätig ist (Pommern, 1/2020).

Wer sich über die Handelsflotte der DDR informieren wolle, finde kaum Literatur, die „außerhalb des Dunstkreises“ der DSR-Veteranen entstanden sei. Dabei überwiegen Erinnerungsbücher der Marke „Bootsleute erzählen“. Parteidiktatur, Republikfluchten und die an Bord allgegenwärtige Stasi tauchen darin allenfalls am Rande auf. So entsteht auch hier ein geschöntes Bild vom DDR-Alltag. Besonders einstige Funktionäre seien als Autoren sehr aktiv, wenn es gelte „die Wahrheit zu filtern“. Auf Archive könne sie bei ihrer Legendenproduktion getrost verzichten. Und das DSR-Archiv im Rostocker Hafen, geleitet von dem Ex-SED-Mitglied Roland Methling, zu DDR-Zeiten Haupttechnologe des VEB Seehafen, gewähre Forschern erst nach langwierigen Absprachen Zugang. Die Öffnungszeiten sind kurz, eine fachgerechte Katalogisierung fehlt, schriftliche Anfragen von Klietz blieben unbeantwortet. 

Nicht besser, wenn auch aus anderen Gründen, sehe es im Landesarchiv Greifswald aus, das umfangreiche Bestände zur Geschichte der zivilen DDR-Schiffahrt biete. Das „pommersche Gedächtnis“ befinde sich derzeit im Zerfall. Was offenbar politisch genauso gewollt ist wie die Demontage der pommerschen Landesgeschichtsschreibung an der Universität Greifswald. Viel Material im Landesarchiv, das wegen Personalmangels bis Ende März 2020 monatelang geschlossen war, harre der Aufarbeitung, einiges verschimmele schon. Für Klietz kündigt sich darin „das Ende der Landesgeschichte Pommerns“ an, die immer auch Marinegeschichte war.