© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

All Cops are unter Generalverdacht
Neues Gesetz: In Berlin müssen Polizisten künftig beweisen, daß sie Tatverdächtige nicht diskriminieren / Heftige Kritik von Opposition und Gewerkschaften
Ronald Berthold

Angehörige von Minderheiten, die sich diskriminiert fühlen, können jetzt in Berlin Schadenssersatz einklagen, ohne belegen müssen, ob der Vorwurf wahr ist. Die Beweislast wurde durch ein neues Gesetz umgekehrt. Jeder kann in einem solchen Verfahren behaupten, von einem Polizisten oder anderen Beamten diskriminiert worden zu sein. Die jeweiligen Staatsbediensteten müssen dagegen nun beweisen, daß die Anschuldigungen nicht zutreffen. Die Gewerkschaft der Polizei erklärt, daß Einsätze gegen Drogendealer mit Migrationshintergrund und arabische Familienclans nicht mehr möglich sein werden.

Scharfe Kritik an dem neuen Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) des rot-rot-grünen Senats üben auch die bürgerlichen Parteien – nicht mehr nur allein die Berliner AfD. Die Abgeordnetenhausfraktionen von FDP und CDU sowie der Bundesinnenminister sprechen unisono von „Generalverdacht“. Horst Seehofer (CSU) nennt das Gesetz gegenüber dem Tagesspiegel „im Grunde einen Wahnsinn“. Die Politik müsse „hinter der Polizei stehen und darf sie nicht unter Generalverdacht stellen“.

Der Freistaat Bayern will nun keine Polizisten mehr in die Hauptstadt entsenden. Bei erwarteten Krawallen der linksradikalen Szene wie am 1. Mai oder zum Teil bei Einsätzen gegen die organisierte Kriminalität erhielt die Berliner Polizei bisher Unterstützung aus anderen Bundesländern. Damit könnte es vorbei sein. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) läßt den Einsatz seiner Beamten in der Hauptstadt bereits juristisch überprüfen. Verbal geht er noch einen Schritt weiter: „Wir werden nicht zulassen, daß unsere Polizistinnen und Polizisten das offenbar gestörte Verhältnis der Berliner Landesregierung zu ihrer Polizei ausbaden müssen.“

Ähnliches droht der Hauptstadt aus Nordrhein-Westfalen. Die dortige Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt von Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) mit deutlichen Worten, keine Sicherheitskräfte mehr nach Berlin zu schicken. Laut GdP-Landeschef Michael Maatz müßten Polizisten bei Einsätzen, von denen Menschen mit Migrationshintergrund betroffen sind, nun nachweisen, daß ihr Einschreiten in keinem Zusammenhang mit der Herkunft der Täter stehe.

Gesetz ist für den grünen Senator ein „Meilenstein“

Ähnlich äußerten sich nach der Verabschiedung des Gesetzes alle innenpolitischen Sprecher von CDU und CSU in Bund und Ländern. Sie fordern, vorerst jeden Amtshilfe-Einsatz von Polizisten aus anderen Ländern in der Hauptstadt abzulehnen. Die GdP beschreibt die weitreichenden Konsequenzen für die Durchsetzung von Recht und Gesetz: „Wenn wir verhindern wollen, daß kriminelle Familienclans ganze Stadtteile terrorisieren und Drogenhändler ungestört ihren Geschäften nachgehen können, muß die Polizei verdächtige Personen unabhängig von ihrer Herkunft überprüfen können.“ Doch das sei durch das neue Gesetz „so nicht mehr möglich“. Und weiter: „Polizisten, die gegen Tatverdächtige vorgehen, laufen unmittelbar Gefahr, daß ihr Vorgehen als rechtswidrig eingestuft wird, obwohl sie sich absolut korrekt verhalten haben.“ 

Das LADG war von Berlins grünem Justizsenator Dirk Behrendt initiiert worden. Seine Fraktion, die der SPD und der Linken stimmten ausnahmslos zu. Die AfD setzte trotz der Corona-Regeln, die das ausschließen, eine namentliche Abstimmung durch. Damit wollte die Partei die persönliche Verantwortung der jeweiligen Abgeordneten für die neue Rechtslage dokumentieren. Die FDP kündigte an, das Gesetz mit einer Normenkontrollklage verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.

Justizsenator Behrendt sprach dagegen von einem „Meilenstein“. Das LADG beende eine mehr als zehn Jahre andauernde Diskussion. Er nannte den Beschluß des Abgeordnetenhauses unmittelbar vor der Abstimmung einen „besonderen Moment“. Die Abgeordneten hätten die Chance, „Rechtsgeschichte zu schreiben“. Er sieht Berlin als „Vorreiter“. Behrendt schweben solche Antidiskriminierungsregelungen für alle Länder und den Bund vor. Denn: „Wer diskriminiert wird, hat unsere Unterstützung verdient.“ Eine Beweislastumkehr nannte er „Quatsch“.

Bereits Stunden vor der Verabschiedung hatte die Berliner Grünen-Fraktion vor dem Abgeordnetenhaus das neue Gesetz gefeiert. Es handelte sich um eine unangemeldete Demonstration, die verbotener Weise auch noch innerhalb der Bannmeile stattfand. Berliner Polizisten beendeten die Veranstaltung daher kurz nach ihrem Beginn. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Grünen-Parlamentarier, darunter mehrere mit Migrationshintergrund, die Beamten noch nicht wegen Diskriminierung anzeigen, ohne den Vorwurf belegen zu müssen.