© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Umwelt
Rot oder Grün?
Tobias Albert

Das Auge ist nicht nur ein Sinnesorgan, sondern seit Jahrtausenden auch Symbol für die weise Voraussicht und die Visionen, die ein guter Herrscher haben muß – vom altägyptischen Hauptgott Horus bis zum nordischen Göttervater Odin. Um so tragischer ist es, wenn eine Sehschwäche den Traumberuf Polizist, Lokführer oder Pilot verhindert.Von Kurzsichtigkeit bis zur Rot-Grün-Schwäche, die neun Prozent aller Männer betrifft, gibt es eine Fülle an Leiden. Oft reicht dabei ein einziges Hilfsmittel nicht aus: So müssen Kurzsichtige mit einer Grünschwäche eine Spezialbrille und zusätzlich Kontaktlinsen tragen. Das könnte sich bald ändern, wenn es nach dem Bioingenieur Tal Ellenbogen und der Nachwuchsforscherin Sharon Karepov von der Universität Tel Aviv geht („Metasurface-based contact lenses for color vision deficiency“, Optics Letters, 45/6/1379/20).

Eine Goldoberfläche auf der gekrümmten Oberfläche einer Kontakt-linse aufgebracht

Sie haben ein Verfahren entwickelt, um die Oberfläche von Kontaktlinsen zu ändern, die bereits eine Dioptrienzahl haben. Strukturen in Nanometergröße werden auf einer Schicht erzeugt, damit die Wellenlänge des einfallenden Lichts so verschoben wird, daß ein Auge mit Grünschwäche trotzdem Grün und Rot voneinander unterscheiden kann. Diese nur 40 Nanometer dünne Metaoberfläche wird aus Gold hergestellt und kann dank der israelischen Forscher nun sogar auf der gekrümmten Oberfläche einer Kontaktlinse aufgebracht werden. Bislang konnten solch komplizierte Feinstrukturen nur auf ebenen Linsen oder Brillengläsern haften, die daher weder Kurz- noch Weitsichtigkeit korrigieren konnten. Nun muß noch die langfristige Verträglichkeit der Kontaktlinsen für die Augen untersucht werden. Aber dann werden viel mehr Leute die Welt wieder mit Argusaugen beobachten können.