© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Der „Fratzenschlüpper“ sitzt
Aufmerksamkeit erzielen: Der Mundschutz ist zum trendigen Accessoire geworden
Paul Leonhard

Zwei Vermummte treten aus der Bankfiliale. Sofort reißen die beiden davor Wartenden die Hände hoch – es ist jedoch kein Übefall. Sie greifen hinter ihre Ohren. Mit geübtem Griff setzen sie ihren Mund-Nasen-Schutz (MNS) auf und verschwinden hinter der Tür, während die Herausgekommenen erleichtert ihre Tücher auf den Hals sinken lassen und tief durchatmen. Die Bedienung im Café nebenan genießt ebenfalls für ein paar Minuten die frische Luft. Statt Zigarettenpausen vor der Tür gibt es jetzt Maskenpausen.

Ein Fußballfan schlendert vorbei. Er trägt eine tief in die Stirn gezogene Kappe in den Vereinsfarben und einen dazu passenden Schal bis unter die Augen, die hellblau strahlen. Diese fallen auf den orangefarbenen Schutz einer Passantin, auf dem in weißer Schrift steht: „Ni scheen, aber gägn Corona!“ 

„Geiler Spruch“, findet eine korpulente Endvierzigerin. Die Trägerin nickt: „Gibt es bei uns im Zeitungsladen für nur zweeneununviertsch.“ Die Fragende ist begeistert, wo die „Fidschis doch vier Euro verlangen“. 

Mund- und Nasenschutz ist in Coronazeiten an vielen Orten nicht nur Pflicht, sondern inzwischen bei vielen Menschen auch voll im Trend und eine Möglichkeit, sich in der plötzlich vielerorts einheitlich gesichtslosen Gesellschaft abzuheben. Noch überwiegt zwar Hellgrün, Weiß und verwaschenes Blau, aber Schutztücher in bunten Farben oder lustigen Motiven nehmen zu. Die Masken der ersten Stunde, aus alten Tüchern hastig nach Anleitungen in den Zeitungen genäht, sind längst out. 

Selbst Modelabels – ob echt oder unecht – haben übernommen. Im Supermarkt greift ein junger Mann mit Burberry-Maske vor dem Gesicht nach der Milch. Vom Kiosk an der Ecke über Schneidereien bis zur trendigen Boutique versuchen zudem viele Einzelhändler ihre Zwangschließungsverluste nun mit individuellen Mundschutzkreationen auszugleichen.

Sie bieten aus recyceltem Papier gefertigte Masken an, geruchsneutral oder duftend, bunt bedruckt oder aus Baumwolle mit integriertem Nasenteil und verstellbarem Gummi. Beim spezialisierten Online-Shop masked-exclusive.de werden Modelle mit innenliegendem Vlies für die bessere Hygiene angeboten. Pflegehinweis: „Übergieße sie täglich mit kochendem Wasser und lasse sie fünf bis zehn Minuten im heißen Wasser liegen.“ Das Stück der „leichten Fühlings-Kollektion“ ist ab 17,90 Euro zu haben. Etwa dreimal so teuer ist es beim Label Armargentum. Dafür erhält der Käufer hier eine Maske voller Glitzersteine, die beim abendlichen Ausgang funkeln. 

Das hatte bereits die chinesische Designierin Masha Ma 2014 bei der Pariser Fashion Week angeregt: mit Swarovski-Kristallen besetzte Gesichtsmasken. Seinerzeit ging es um den Schutz vor Luftverschmutzung.

Und wie sieht es mit dem Vermummungsverbot aus?

Wesentlich billiger, dafür aber nicht elegant, sondern einfach witzig wollen Masken mit Teddybärschnauzen, Vampirzähnen oder frechen Schnurrbärten sein. Es gibt Motive, die einen ganz oder halb geschlossenen Reißverschluß quer über dem Mund zeigen. MNS ist längst vom Hilfsmittel in den Krankenhäusern zum Accessoire des Jahres geworden.  Und dieses unterscheidet sich grundlegend vom Medizinprodukt, das eine Medizinprodukterichtlinie und eine CE-Kennzeichnung aufweisen muß. Es geht nicht um Filterleistung oder Atemwiderstand, sondern um Aufmerksamkeit, Einzigartigkeit, Wohlfühlen. Daß Masken dauerhaft Alltag werden könnten, machen den Europäern arabische Frauen und Asiaten vor.

Die sich volksnah gebende Bild will herausgefunden haben, daß die Schutzmasken an der Küste in Nord- und Ostfriesland umgangssprachlich „Snuutenpulli“ genannt werden, in Bayern „Maischoner“ (von Maul), in Südwestdeutschland „Maultäschle“, in Köln „Schnüssjäckje“ oder „Bützjekondom“, im Ruhrgebiet „Fratzenschlüpper“ und bei den Schwaben „Goschenduch“.

Aber nicht nur für Boulevard und Modeindustrie ist die Maske auflagensteigernd, auch die Justiz beschäftigt sich mit dem neuen Phänomen: So vermuten Rechtswissenschaftler, daß das verkehrsrechtliche Vermummungsverbot der teilweise angeordneten Maskenpflicht widerspricht. Schließlich heißt es in Paragraph 23: „Wer ein Kraftfahrzeug führt, darf sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken, daß er nicht mehr erkennbar ist.“ Vorsichtshalber wird Autofahrern geraten, wenigstens darauf zu achten, „daß wirklich nur Mund und Nase bedeckt sind“. Auch ist das bei öffentlichen Versammlungen geltende Vermummungsverbot durch die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Mundschutzpflicht außer Kraft gesetzt. Das Antlitz komplett erkennbar lassen durchsichtige Plastikvisiere, die an einem Kopfband befestigt werden, von Stirn bis Kinn alles bedecken und garantiert auch nicht das Make-up verschmieren.

Übrigens hilft eine Maske dem Träger auch, sein Gesicht zu bewahren, wenn der Ärger um die Mundwinkel zuckt.