© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Kampf um Begriffe
Wie unter dem Vorwand des Antirassismus Hand an die Verfassung gelegt werden soll
Michael Paulwitz

Der Kampf um die Sprache hat das Grundgesetz erreicht. Bei der Forderung, den Begriff „Rasse“ aus der Liste der Diskriminierungsverbote in Artikel 3 GG zu streichen, handelt es sich um weit mehr als semantische Kosmetik: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Festschreibung eines ideologischen Vorherrschaftsanspruchs im Verfassungstext.

Wer die sprachliche Deutungshoheit über die politischen Begriffe hat, der hat die kulturelle Hegemonie. Daß deren Eroberung die Voraussetzung für die Gewinnung der uneingeschränkten politischen Vorherrschaft ist, gehört seit Gramsci zum kleinen Einmaleins des Kulturmarxismus. Die von den USA ausgehenden und global orchestrierten „Antirassismus“-Proteste bieten der kulturmarxistischen Linken in Deutschland die glänzende Gelegenheit, einen zentralen Pfeiler ihres ideologischen Herrschaftsanspruchs mit höheren Verfassungsweihen zu versehen.

Auch so ist der Siegeszug radikal linker Ideologie in das politische und mediale Establishment atemberaubend. Abzulesen ist dies an der Karriere des Schlagwortes „Antifaschismus“ vom stalinistischen Kampfbegriff zum Quasi-Grundkonsens eines sich selbst allein demokratisch dünkenden Milieus. Jene schlichten Politiker-Gemüter in den immer noch „bürgerlich“ genannten Unionsparteien oder der FDP, die Phrasen wie „Jeder Demokrat ist Antifaschist“ in ihren Baukasten übernommen haben, ahnen vermutlich nicht einmal, in welche totalitäre Tradition sie sich damit stellen. Die den Kampfbegriff „Faschisten“ prägten, meinten damit potentiell jeden, der gerade nicht auf stalinistischer Komintern-Linie war. Wer krampfhaft versucht, „Antifa“ als militante Kampforganisation und „Antifaschismus“ als irgendwie zu respektierende Haltung auseinanderdividieren zu wollen, ist bereits in die semantische Falle getappt.

Wenn Vorstand und Vorsitzende der zu einem Schatten ihrer selbst geschrumpften SPD für sich eine ungebrochene „antifaschistische“ Tradition reklamieren, sind sie zumindest historische Analphabeten. Wenn dagegen „Linken“-Politiker und ihre publizistischen Batterien einen „antifaschistischen Konsens“ des Grundgesetzes behaupten, wissen sie genau, was sie tun: Sie verdrängen den antitotalitären Grundkonsens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der alten Bundesrepublik, der jede extremistische Diktaturtendenz gleichermaßen zu bekämpfen auferlegt, durch einen ideologischen Alleinherrschaftsanspruch.

Die vorsätzliche Uminterpretation des Grundgesetzes in sein Gegenteil ist ein Angriffspunkt. Die Veränderung des Verfassungstextes, um die Begriffe der eigenen Ideologie direkt in das Gesetz hineinzuschreiben und auf diesem Wege sakrosankt zu machen, geht noch einen gewaltigen Schritt weiter.

Nach den Vorstellungen von Grünen-Chef Robert Habeck soll in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes – „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ – der Begriff „Rasse“ durch die Formulierung „rassistische Zuschreibungen“ ersetzt werden.

Das ist eine radikale Uminterpretation. Der Begriff „Rasse“ mag problematisch sein, ein adäquater Ersatzbegriff dafür existiert aber auch nicht. Die Formulierung „ethnische Herkunft“, die von der FDP anbiedernd ins Spiel gebracht wurde, trifft es nicht. Zum einen sind „Abstammung“ und „Herkunft“ bereits jetzt im Text enthalten; zum anderen wird auch dieser Terminus die grün-linken Begriffestürmer nicht zufriedenstellen, denen auch die Vorstellung eines Volkes, eines deutschen jedenfalls, verdächtig ist. Vor allem aber: Die bisherige Formulierung des Grundgesetzartikels enthält sich der Wertung. Jeder kann sich theoretisch darauf berufen, auch der Weiße, der von Schwarzen angegriffen, abgewertet, diffamiert wird.

Das aber ist gerade nicht im Sinne des „Antirassismus“, der wie der „Antifaschismus“ zum ideologischen Grundbesteck des Kulturmarxismus gehört. Es ist eine spaltende Ideologie, so wie jede Spielart des Marxismus auf der moralisch aufgeladenen Spaltung der Gesellschaft beruht: Arbeiterklasse gegen Ausbeuterklasse, Frauenkampf gegen Patriarchat, oder eben: „Antifaschisten“ und „Antirassisten“ gegen „Faschisten“ und „Rassisten“. Stets ist der andere der Feind, der absolut Böse, dessen Position jede Diskurs- und Existenzberechtigung auf Augenhöhe abgesprochen wird und der nach der Logik des geistigen Bürgerkriegs bis zur Vernichtung bekämpft werden muß.

Die Absurdität der Ideologie des „Antirassismus“ offenbart sich darin, daß sie die eigene Bezugsgröße leugnet: „Rassen“ soll es nicht geben, „Rassismus“ aber schon. Tatsächlich ist es der „Antirassismus“ selbst, der beständig Eigenschaften nach Hautfarbe und Herkunft zuschreibt: Weiße Europäer sollen „strukturell“ stets schuld, Schwarze, Zuwanderer oder selbst Angehörige einer Religionsgruppe, des Islam, dagegen immer „Opfer“ sein, als deren Beschützer man sich aufspielt. Die umfassende Ächtung des ursprünglichen Bezugsbegriffs soll der Willkür bei der Ausübung der angemaßten Deutungshoheit das letzte Hindernis aus dem Weg räumen.

Nicht von ungefähr erinnert der kulturmarxistische Kampf um die Begriffe an Orwells Dystopie „1984“: Gegenpositionen sollen im verordneten „Neusprech“ gar nicht mehr sag- und aussprechbar sein, Wörter, Bücher, Denkmäler, die für alternative Lesarten von Geschichte und Gegenwart stehen, verschwinden im „Gedächtnisloch“.

Der Sturm auf Bilder und Begriffe ist im vollen Gange. Wer sich wegduckt, aus Bequemlichkeit auf Widerspruch verzichtet oder gar die Sprachregelungen der Kulturkämpfer übernimmt, der könnte schneller als gedacht in einem neototalitären Alptraum aufwachen.