© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Diskussion um härtere Strafen bei Kindesmißbrauch
Taten statt Worte
Günter Bertram

Abscheu und Entsetzen über den Abgrund von Kindesmißbrauch, der jetzt sichtbar geworden ist, sind vollkommen berechtigt. Begreiflich auch die Zuflucht zu starken Worten. Rigorose Strafverschärfung ist nun die Parole – nicht allein in den Medien, auch aus dem Mund von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (freilich erst nach ihrer Bekehrung). Nun sind Gefühl und Empörung das eine, Strafgesetzgebung das andere, zumal diese von Verfassungs wegen zu Rationalität und Präzision verpflichtet ist. Der Blick in die einschlägigen Paragraphen des Strafgesetzbuches (§ 174 ff.) zeigt, daß diese der Justiz ausreichenden Raum geben, schwere Taten hart zu bestrafen – bis zu 15 Jahre –, auch ohne deren Hochstufung zu Verbrechen. Im Extremfall, etwa der Vergewaltigung, sind sie Verbrechen auch im formalen Sinne.

Deshalb ist die Klage abwegig, zur Zeit gleiche die gesetzliche Bewertung von Kindesmißbrauch mehr oder weniger der des Ladendiebstahls. Nicht das Gesetz ist das brennende Problem, sondern in Zeiten von Internet und Darknet die Aufklärungs- und Zugriffsmöglichkeiten von Polizei und Justiz. Dort ist das Dunkelfeld erschreckend groß, dort liegen politische Aufgaben, die allerdings nicht mit Bekundungen und rascher Gesetzeskorrektur zu erledigen sind. Sie müssen angepackt werden!






Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.