© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Politiker rassen aus
Verfassungsänderung: Grüne, Linke und FDP wollen Artikel 3 des Grundgesetzes umformulieren / Widerspruch von Union und AfD
Jörg Kürschner

Den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den Vereinigten Staaten haben Grüne und SPD innenpolitisch genutzt, um eine grundsätzliche Debatte über Rassismus in Deutschland in Gang zu setzen. Die von beiden Parteien sowie der FDP und Linken befürwortete Streichung des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz hat in den Unionsparteien zu kontroversen Stellungnahmen geführt. Die AfD als größte Oppositionsfraktion lehnt eine Verfassungsänderung ab, die einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat bedarf. Die Hürden für das Vorhaben sind also hoch. Ohne die Zustimmung der Unionsparteien läuft nichts.

„Symbolpolitik bringt      uns keinen Schritt weiter“

Nach der Corona-bedingten politischen Defensive der Opposition war den beiden Grünen-Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock die Genugtuung darüber anzumerken, endlich wieder ein Leib- und Magenthema mit der lang vermißten Aufmerksamkeit besetzen zu können. „Es ist Zeit, daß wir Rassismus verlernen. Allesamt“, lautete die griffige Formel, die sogleich aufgegriffen wurde. „Zustimmung“ signalisierte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch kurz und knapp auf Twitter. FDP-Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann sagte, besser als die von den Grünen befürwortete ersatzlose Streichung sei es, von „ethnischer Herkunft“ zu sprechen, wegen der niemand diskriminiert werden dürfe. „Der veraltete Begriff ‘Rasse’ hat im Grundgesetz nichts zu suchen, er muß aus Artikel 3 gestrichen werden“, positionierte sich SPD-Vizechefin Serpil Midyati. Eine Stellungnahme, die ihrer Parteifreundin Christine Lambrecht offenbar zu schlicht ausgefallen war. Die Bundesjustizministerin besann sich ihres Amtes und erinnerte an die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Den Vätern und Müttern der Verfassung sei es darum gegangen, ein Zeichen gegen den Rassenwahn der Nationalsozialisten zu setzen. So heißt es in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“  

Für die AfD wandte sich deren Vize-Bundessprecher Stephan Brandner gegen „ideologische Exzesse im Grundgesetz“. Differenzierter äußerte sich der Fraktions-Innenpolitiker Gottfried Curio. Die Absicht, das Merkmal „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, könne mit Blick auf die Merkmale „Abstammung“ sowie „Heimat und Herkunft“ unproblematisch erscheinen, da diese die Thematik bereits erfaßten, betonte er. Problematischer wäre eine Neueinfügung, etwa des „linken Modeworts rassistisch“.

CDU und CSU verhielten sich meist abwartend. Wobei Regierungspolitiker eher vorsichtige Zustimmung signalisierten, während die Stellungnahmen in der Fraktion skeptisch ausfielen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen, es gebe „nachdenkenswerte Argumente“. Ihre Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz plädierte klar für eine Streichung des Begriffs.  Innenminister Horst Seehofer (CSU) zeigte sich gesprächsbereit. „Ich versperre mich da nicht“. CDU-Bundesvize, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, forderte eine „sehr sorgfältige Prüfung“. Bouffiers Kieler Kollege Daniel Günther kommentierte das Vorhaben flapsig. „Mir ist das egal. Ich engagiere mich lieber, um Rassismus entgegenzutreten, als mich um solchen Theoriekram zu kümmern.“

Eine Streichung sei „eher Symbolpolitik und bringt uns in der Sache keinen Schritt weiter“, meinte hingegen der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU). Die Vorsitzende des Innenausschusses, Andrea Lindholz (CSU), sprach von „einer eher hilflosen Scheindebatte“. Eine Streichung des Begriffs könne zudem die Rechtsprechung erschweren, argumentierte sie. „Ohne einen entsprechenden Rechtsbegriff, der auch völkerrechtlich verankert ist, könnte Rassismus juristisch noch schwieriger zu greifen sein.“ Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei (CDU) betonte, im Kampf gegen Rassismus werde uns „die sprachliche Überarbeitung“ des Grundgesetzes „nicht voranbringen“. Das Grundgesetz sei „sprachlich nicht so formuliert, wie wir das heute tun würden, weil unsere Verfassung ein historisches Dokument ist“. Das Verbot einer „rassistischen Ungleichbehandlung von Menschen“ sei aber „im Jahr 2020 genauso aktuell wie 1949“. Eine „Aktualisierung ist nicht notwendig“. Übereinstimmend wurde argumentiert, der Begriff der „Rasse“ sei überholt, die Begriffe Volksgruppe oder Ethnie seien treffender. Allerdings wurde auch darauf verwiesen, daß der Parlamentarische Rat den heute umstrittenen Begriff gerade wegen der Rassenpolitik der NS-Diktatur in das Grundgesetz aufgenommen habe. Die Streichung des Begriffs „Rasse“ könnte deshalb den absoluten Diskriminierungsschutz des Artikels 3 vermindern. 

Diese juristisch fein ziselierte Debatte wurde freilich überlagert durch eine undifferenzierte Behauptung der SPD-Co-Chefin Saskia Esken über „latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“. Energischer Widerspruch gerade aus den eigenen Reihen war ihr gewiß. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Georg Maier (SPD), nahm kein Blatt vor den Mund: „Ich verwahre mich gegen Äußerungen, es gebe in den deutschen Sicherheitsbehörden einen latenten Rassismus. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, die Integrität unserer Polizei strukturell in Frage zu stellen.“

Eskens Parteifreund Boris Pistorius, Innenminister in Niedersachsen, wählte den eleganteren Weg, um die aufmüpfige SPD-Chefin einzunorden. Er lud sie zu einem Besuch der Polizeiakademie Nien-

burg ein. Anschließend packte Esken die Rassismuskeule kleinlaut wieder ein. „Eines ist klar, Polizisten wollen keine Rassisten in ihren Reihen.“ Freunde hatte sich die SPD-Politikerin nur bei der Linken gemacht, ihrem Wunsch-Koalitionspartner. Die SED-Nachfolger haderten nämlich mit ihrem Fraktionschef Bartsch, der Esken entgegengehalten hatte: „Polizisten und Polizistinnen verdienen mehr Anerkennung.“