© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Zwei Länder, ein autoritäres System
Hongkong: Britanniens ehemalige Kronkolonie kommt vollständig unter die Fuchtel Pekings / Polizeigewalt ist hier wirklich Alltag
Albrecht Rothacher

Während George Floyds Tod durch Polizeigewalt auch in Westeuropa zu Krawallen führte, ist die bedrohte Freiheit der 7,5 Millionen Bürger Hongkongs kein Aufreger. Nur US-Präsident Donald Trump kündigte Sanktionen und das Ende der Vorzugsbehandlung“ der Hongkonger Wirtschaft an. Zum Jahrestag der Massendemos vom Juni 2019 waren auch nur wenige tausend Unerschrockene auf der Straße. Jedem Demonstranten drohten bis zu fünf Jahre Haft.

Vor einem Jahr richteten sich die Porteste gegen die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone. Prozesse fanden vor einer rechtsstaatlich verfaßten Justiz statt, die Risiken waren abschätzbar. Bei 9.000 Festnahmen kam es zu 1.700 Anklagen, aber bislang nur zu hundert Verurteilungen, in einem Fall zu vier Jahren Haft. Willkürliche Polizeigewalt blieb freilich ungesühnt, doch unter Pekings Regie wären die Verhafteten im Laogai-System (JF 14/10) verschwunden, wo Millionen durch Zwangsarbeit „umerzogen“ wurden und werden oder sterben. Mit dem vom Scheinparlament „Volkskongreß“ abgenickten „Nationalen Sicherheitsgesetz“ ist nun die Pekinger KP-Diktatur das direkte Gegenüber der Protestanten. Und der Panzereinsatz auf dem Tiananmen-Platz 1989 hat bewiesen, wozu das Regime fähig ist.

Bei der Übernahme der Kronkolonie 1997 und des portugiesischen Macau 1999 hatte sich Peking zur Einhaltung von Sonderrechten unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ verpflichtet und versprochen, die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit zu achten und mindestens 50 Jahre lang freie Wahlen abhalten zu lassen. Doch London hat an weltweitem Einfluß verloren, und für Peking ist Hongkong mit den „ungleichen Verträgen“ verbunden, als die damals in China herrschende Qing-Dynastie 1842 Hongkong (Vertrag von Nanking) und 1860 auch die Insel Kowloon abtreten mußte. Das ist auch ein Menetekel für Taiwan: Als einstiges japanisches Besitztum weiß Taipeh nun, was von Pekinger Versprechen zu halten ist.

Die bislang wenigen Hongkonger Unabhängigkeitsbefürworter erhalten nun Auftrieb. Die Mehrheit hofft auf die Wahlen im September. Aber nur die Hälfte der 70 Sitze wird frei gewählt. Die andere Hälfte wird von meist pekinghörigen Vertretern eingenommen. Wer kann, besorgt sich einen zweiten Paß – den kanadischen gibt’s für eine Eine-Million-Dollar-Investition. Auch in Australien, Neuseeland und Irland sind qualifizierte Hongkonger willkommen.

Das großzügige Paß-Versprechen des britischen Premierministers Boris Johnson (JF 25/20) dürfte hingegen wohl auf einige Probleme stoßen. Peking drohte dem Brexit- und Corona-geschädigten Königreich vorsorglich schon mit „Gegenmaßnahmen“.