© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Du darfst nicht!
Kulturkampf: „Antirassismus“ hat sich zu einer weiteren wirkungsmächtigen Zivilreligion entwickelt
Björn Schumacher

Das Wort Zivilreligion beschreibt ein von Jean-Jacques Rousseau („Gesellschaftsvertrag“, 1762) geschaffenes und von dem US-Soziologen Robert N. Bellah („Civil Religion in America“, 1967) neu belebtes Konzept. Dabei wird der Religionsbegriff aus seiner klassischen Verknüpfung mit der Transzendenz gelöst. Die Existenz eines höheren Wesens ist dann nicht länger Merkmal von Religion. Sie wird abgelöst von funktionalen Zuschreibungen wie Hypermoral, egalitaristischem Missionarseifer oder Endzeit- und Erlösungsszenarien, deren Fixpunkt regelmäßig im Diesseits liegt.

Zivilreligiösen Charakter haben der Klimaschutz-Dogmatismus mit seinen apokalyptischen Prophezeiungen und ein Antirassismus, der in einer Hierarchie abstrakter Moralprinzipien den höchsten Rang beansprucht. Zwar läßt sich der unscharfe Rassismus-Begriff präzisieren und für ethische und juristische Debatten fruchtbar machen – beispielsweise als Verleugnung elementarer Menschenrechte auf (staatsbürgerliche) Freiheit, Gleichheit und körperliche Unversehrtheit. Was aber folgt daraus für die Politik? Etwa ein phrasenhafter Einsatz für eine gesellschaftliche „Alles so schön bunt hier“-Vielfalt? Geht es „Black Lives Matter“-Demonstranten primär um moralische Werte oder wollen sie eine utopistische One-World-Agenda („no border, no nation“) durchsetzen?  

„Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage“ tönt es aus Lehranstalten, in denen die Christen-, Juden- und Frauenfeindlichkeit bildungsferner Migrantenmilieus schamhaft verschwiegen wird. Deutsche Kommunen ziehen bekenntniseifrig nach. Bereits seit Jahren präsentiert sich Frankfurt-Rödelheim als „Stadtteil gegen Rassismus“. Wer zu grübeln beginnt, warum es keine Stadtteile gegen Steuerbetrug, Abtreibung und linksextreme Gewalt gibt, hat die Funktion neudeutscher Zivilreligion nicht verstanden. Möchtegern-Humanisten, die nie in Stadtviertel mit migrantischer Mehrheitsbevölkerung ziehen würden, führen unter dem Etikett der Diversität einen Kulturkampf gegen alles, was rechts oder konservativ ist. 

Verachtung des Volkes hat eine lange Tradition

Antirassismus-Bekenntnisse von Schulen, Kommunen und niederknienden Sportlern lassen sich daher als volkspädagogischer Appell deuten. Schüler und Auszubildende, Einwohner und Besucher einer Stadt, letztlich alle Deutschen (und gut integrierten Ausländer) sollen kulturfremde Massenzuwanderung und offene Grenzen als selbstverständlich akzeptieren. Das wirkt um so verstörender, als die Grenz-

öffnung 2015 von keiner parlamentarischen Debatte begleitet wurde, geschweige denn Gegenstand plebiszitärer Willensbildung war. 

Diese Verachtung der Demokratie hat Tradition. Bei Platon hieß das Volk „großes Tier“, bei Hegel „rohes blindes Tier“, bei Honoré de Balzac „wildes Tier“. Der an der Universität St. Gallen lehrende Moral- und Staatsphilosoph Dieter Thomä nennt solche Denker „Zoodirektoren“ und mahnende Aufklärer wie Hobbes und Kant „Schulmeister“ („Wer hat Angst vor dem Volk?“, Philosophie-Magazin Nr. 3/ 2019). Er fordert, sich von deren teils absurden Stereotypen zu verabschieden und dem Volk vertrauensvoll zu begegnen. 

In fast allen Medien und Talkshows präsent, tarnen sich postdemokratische Gegner des Staatsvolks als „aufrechte Demokraten“. Um so dringender brauchen wir eine Renaissance der demokratischen Idee, ein klares Stoppschild gegen alle, die das Volk bevormunden und einen im großen und ganzen homoge-nen Demos als Grundbedingung funktionierender Volksherrschaft abschaffen wollen. Ins Blickfeld rücken deutsche Lobbyisten und Funktionseliten sowie global agierende Nichtregierungsorganisationen, supranationale Gerichtshöfe und die EU-Kommission. 

Markenkern antirassistischen Eifers sind drei von zivilreligiösen Hohepriestern erzwungene Toleranzdogmen: Du darfst keine rassebezogenen Vergleiche anstellen (Vergleichsverbot). Du darfst keine skeptischen Aussagen über nicht-weiße Menschen machen (Kritikverbot). Du darfst dich zum Kolonialismus nur uneingeschränkt negativ äußern (Gebot kultureller Selbstkasteiung). Tollkühn klingen daher die Sätze von Kardinal Walter Brandmüller in einem Interview mit dem Cato-Magazin (Nr. 5/2018): „Die Kolonisierung war gewiß in bestimmter Hinsicht ein naturrechtswidriger Vorgang. (…) Auf der anderen Seite war sie aber auch mit der christlichen Mission verbunden. (…) Man darf nicht verschweigen, daß das, was an Zivilisation heute in den afrikanischen Ländern existiert, eine Folge der Mission bzw. der Kolonisierung war.“

Sinnkrise abendländischer Kultur

Groteske Folgen hat das „Kritikverbot“. Wenn Männer aus archaischen Stammeskulturen „Ehrenmorde“ verüben (weil Frauen oder Mädchen ihre Beziehung zum späteren Täter beenden oder – als Muslimas – westliche Moden und Verhaltensweisen kopieren), kommen nicht etwa Asyl und Massenzuwanderung auf den Prüfstand. Statt dessen gibt es reflexhafte Diskursverschiebungen. Etablierte Politiker und der gesamte zivilgesellschaftliche Komplex bilden „runde Tische gegen Rechts“ oder gegen imaginäre „Nazis“, die Fremde unter „Generalverdacht“ stellen würden. 

Die Verwendung solcher Kautschukbegriffe hat im linken Spektrum Tradition. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: In der Tat brauchen wir bürgerschaftliches Engagement – aber nicht „gegen Rechts“, sondern gegen Ideologie, Utopie und Realitätsferne. Abwägende Vernunft muß wieder die Foren politischer Meinungsbildung erobern. 

Zudem bildet das „Kritikverbot“ eine üppige Legitimationsressource für Migranten. Wer nicht mit eigenem Fehlverhalten konfrontiert wird und statt dessen zu hören bekommt, der „strukturelle Rassismus“ alter, weißer Männer sei die Wurzel allen Übels, wird kaum noch Anpassungsleistungen an die autochthone Kultur seines Gastlands erbringen. „Rassismus ist in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen“, schwadronierte der in Gelsenkirchen geborene türkischstämmige Fußballprofi Mesut Özil, als er 2018 wegen seiner weltanschaulichen Nähe zum türkischen Präsidenten Erdogan (und gemeinsamer Fotos mit ihm) in die Kritik geraten war.

Die antirassistische Zivilreligion speist sich aus der Sinnkrise abendländischer Kultur, gesteuert vom schlechten Gewissen westlicher Überflußgesellschaften. Daraus resultiert Hilflosigkeit, zum einen gegenüber massenhaftem Asylmißbrauch, zum anderen gegenüber fordernd auftretenden Entwicklungsländern. Sind diese bedingungslos entschlossen, ihre Bevölkerungsdynamik zu begrenzen? Zuweilen entsteht der Eindruck, sie wollten ihren Bürgern Siedlungsgebiete im Speckgürtel der Erde erschließen – mit regelmäßigen Geldüberweisungen ins Herkunftsland.

Als völkerrechtlicher Stoßtrupp dienen die Vereinten Nationen, deren Migrationspakt (JF 47/18) sich in wohlfeilen Legitimationsfloskeln übt: „Migration war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, daß sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt.“