© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Alltag hinter dem Lenkrad
Wo Kinobesuche wieder möglich sind: Der Dokumentarfilm „World Taxi“ von Philipp Majer führt durch fünf Städte auf vier Kontinenten
Claus-M. Wolfschlag

Der 1982 geborene Saarbrücker Filmemacher Philipp Majer hat einen Dokumentarfilm über Taxifahrer gedreht. In fünf Städten auf vier Kontinenten, die er zuvor bereits einmal besucht hatte, begleitete er 24 Stunden lang den Alltag je eines Taxifahrers. 

Destan aus der kosovarischen Hauptstadt Pristina versucht trotz fortgeschrittenen Alters noch finanziell über die Runden zu kommen. Mamadou aus dem Senegal hangelt sich gut gelaunt durch das Chaos der staubigen Straßen Dakars. Der Thailänder Tony, der mit seiner Frau in bürgerlichen Vorstadtverhältnissen lebt, hat eine längere Berufslaufbahn in der Tourismusbranche hinter sich. Sein Auto wird gepflegt wie eine zweite Frau. Kümmere man sich nicht um sie, kümmere sie sich auch nicht um einen selbst, meint er. Nicht selten fährt er nachts Rotlichttouristen durch die Metropole Bangkok.

Der in El Paso fahrende Sergio kutschiert häufig Amerikaner über die texanisch-mexikanische Grenze. Eine adipöse junge Frau läßt sich jenseits der Grenze günstig den Magen verkleinern. Sie will mit ihrem Kind spielen können, ohne ständig ins Schnaufen zu kommen. Gespräche drehen sich um das teure US-Krankenversicherungssystem, einen Amoklauf in Las Vegas, aber auch den Drogenschmuggel und Morde auf mexikanischer Seite. Sergio ist selbst gebürtiger Mexikaner. Und so ist es fast vorhersehbar, daß er einer schärferen Grenzüberwachung nichts abgewinnen kann. Die USA seien nun einmal auf Einwanderer angewiesen, die die Drecksarbeiten machen wollen. Migration ist auch bei Mamadou aus dem Senegal ein Thema. Er versucht drei naiven jungen Fahrgästen zu erklären, daß sie dort „bei Null“ anfangen müßten, wenn sie es nach Europa schaffen würden. 

Während man bei Mamadou über den Fahrpreis verhandeln kann, herrschen bei Sergio in den USA geordnete Preisstrukturen. Festpreis bleibt Festpreis. Destan in Pristina hingegen bietet einem älteren Fahrgast schon mal an, ihm die Bezahlung zu erlassen, wenn dieser über eine sehr kleine Rente verfügt. 

Die Berlinerin fährt nachts vor allem Partygänger

Etwas aus dem Rahmen fällt die Berliner Taxifahrerin Bambi. In vielerlei Hinsicht. Sie ist die einzige Frau. Sie ist der einzige Single. Sie lebt nur mit ihrem Hund zusammen, der mit Fleischdelikatessen verwöhnt wird. Bambi übt sich in Spiritualität und Lyrik. Und sie fährt nachts vor allem diverse Partygäste. Überhaupt scheint das Berliner Taxipublikum nur aus betrunkenen Clubgängern zu bestehen, die zwischen „Berghain“ und Hotel jonglieren. Ein gepierctes lesbisches Pärchen versucht sogleich ihre Telefonnummer zu ergattern. Die Gespräche drehen sich um Clubs, Konkurrenz unter Taxifahrern und Gentrifzierung. Auch dies eine vielleicht in dieser Drastik gar nicht so beabsichtigte Momentaufnahme deutscher Verhältnisse.

Er liebe die kleinen Geschichten, die das Leben schreibt, erklärte Regisseur Majer. Die Idee zu dem Film ist ihm fünf Jahre zuvor bei der Begegnung mit einem mitteilungsbedürftigen Fahrer in Roswell, New Mexico, gekommen. 

Herausgekommen ist ein Film, in dem der Zuschauer keinen Zusammenhang der Geschehnisse oder weitergehende Erkenntnisse erwarten darf. Eine tiefere Bearbeitung des Stoffes findet nicht statt. Stattdessen erwartet den Kinobesucher eine Aneinanderreihung kurzer Episoden aus verschiedenen Ländern.

Nachdem er seine ausgedehnten Reisen abgeschlossen hat, gibt sich Majer heute reuig: „Das war noch alles vor Greta und dem Erwachen des Klimabewußtseins. Heute würde ich sicherlich zweimal darüber nachdenken, so weit zu fliegen, um den Film zu machen oder mindestens eine höhere CO2-Kompensation in Erwägung ziehen.“

Wer auf den Genuß eigener Fernreisen bis auf weiteres verzichten muß, kann nun immerhin einen Film wie „World Taxi“ anschauen, um einen kleinen Einblick in die Lebenswelt unterschiedlicher Kulturen zu erhaschen.