© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Frisch gepresst

Hannah Arendt. Anders als es das hagiographische Schrifttum über sie heute suggeriert, war Hannah Arendt (1906–1975) keine wirklich große Denkerin. Schon ihre bei Karl Jaspers entstandene Dissertation über den „Liebesbegriff bei Augustin“ (1930), die den Kirchenvater existentialistisch eintütete, erntete vernichtende Besprechungen, die es ihr geraten erschienen ließen, auf eine Universitätskarriere zu verzichten. Auch ihre im Exil erfolgte Hinwendung zur politischen Philosophie, die sie mit einer wenig originellen Totalitarismus-Theorie bereicherte, offenbarte notorischen Mangel an Realitätssinn. Denn nie befreite sich die Tochter einer Rosa-Luxemburg-Verehrerin von der in ihrer Heimatstadt Königsberg gewachsenen romantischen Sympathie für das Rätesystem. Noch ihr letztes Hauptwerk, „Über die Revolution“ (1963), klingt im Hymnus auf „elementare Republiken“ aus, gedacht nach dem Muster der kurzlebigen Königsberger Räteherrschaft von 1919. Und doch, diesem Illusionismus zum Trotz, überragt sie als Intellektuelle bei weitem die Scharen jener, die sie heute als Künderin der Open Society-Ideologie vereinnahmen wollen. So wie der Pädagoge Micha Brumlik, die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer, der Historiker Norbert Frei oder andere weltfremde Kosmopoliten, die den Begleitband zur Arendt-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum bestückten. (dg)

Dorlis Blume u. a. (Hrsg.): Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert. Piper Verlag, München 2020, gebunden, 285 Seiten, Abbildungen, 22 Euro 





Europa. Laut Slavko Leban ist für viele Menschen Freiheit das höchste Gut einer Gesellschaft. Doch was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff Freiheit –Meinungsfreiheit, offene Grenzen oder eine möglichst unregulierte Wirtschaft? Leban will Europa neu denken. Der Mediziner, von 2004 bis 2006 Assistent im kroatischen Außenministerium, weist auf Fehlentwicklungen der Europäischen Union hin und plädiert dafür, unsere traditionelle Identität zu bewahren. Ganz im Stil des Arztes geht er analytisch vor und skizziert in verständlicher Sprache abstakte Begriffe wie Macht, Moral oder Gleichheit. Jedoch trennt Leban die Begriffe Europa und Europäische Union nicht sauber, wodurch der Anschein entstehen könnte, allein die EU verkörpere den europäischen Geist. (zit)

Slavko Leban: Irrungen und Wirrungen Europas. Mensch und Masse in der modernen Gesellschaft. Ares Verlag, Graz 2020, broschiert, 176 Seiten, 20 Euro