© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 26/20 / 19. Juni 2020

Hochtechnologisch zurück zur Natur
Biolandwirte auf dem Weg zu Ökosystemleistungen / Waldschutzstreifen wie in den USA
Dieter Menke

Gestern ist das neue Heute. So ließe sich, griffe man auf die Werbephrasen zurück, eine der „modernen Landwirtschaft“ gewidmete Artikelfolge in der Zeitschrift Natur (6/20) betiteln. Denn modern sei nicht mehr das industrielle, sondern das traditionelle Agrarwesen nach seiner ökologischen Metamorphose.

Alle hier als „Lichtblicke vom Land“ präsentierten Bio-Bauern eint das Bestreben, mit neuer Technologie und wissenschaftlichen Methoden alte Bewirtschaftungsformen zu praktizieren. So hat Thomas Domin in Zusammenarbeit mit dem Forstwissenschaftler Christian Böhm (TU Cottbus-Senftenberg) seine in Südbrandenburg gelegenen 1.000 Hektar Acker- und Grasland mit Baumstreifen durchzogen – wie es „früher üblich“ war. Noch vor hundert Jahren, als unter Eichen Schweine gemästet wurden, galt die Verbindung von Forst- und Landwirtschaft als selbstverständlich, erläutert Böhm.

Erst die Mechanisierung – im Westen befördert durch die „Flurbereinigung“, in der DDR durch die Kollektivierung – habe die Felder von den Gehölzen „befreit“, damit Traktoren und Mähdrescher auf den künstlichen Monokultursteppen ungehindert operieren können. Nur in einem Punkt knüpft ihr „Agroforstsystem“ nicht an frühere Zustände an: Schnell wachsende Pappeln, Robinien und Schwarzerlen stehen am, nicht mehr auf dem Feld. Auch dort erfüllen sie ihre „nachhaltigen“ Funktionen. So belegen Böhms Untersuchungen, daß die Bäume dem Boden überschüssiges Nitrat entziehen. Im Mittel liege der Nitratwert in der Ackermitte fünfzehnmal höher als unter Domins 30.000 Gehölzen.

Weil die Baumreihen starke Winde ausbremsen, sinkt die Bodenerosion. Ihr Schattenwurf schützt vor Verdunstung, und ihre Wurzeln vitalisieren das Bodenleben des Ackers, was auch dem Wachstum der Nutzpflanzen zugute kommt. Ökologische Vorteile, die Domin nicht mit ökonomischen Nachteilen bezahlt. Obwohl er für seine Baumstreifen 2015 sieben Hektar „opferte“, fährt er jetzt nicht weniger Getreide und Heu ein als vorher. Ob sein Beispiel andernorts Schule macht, bleibt abzuwarten. Vergleichbare Waldschutzstreifen gab und gibt es allerdings auch schon vor siebzig Jahren in den Schwarzerdegebieten der Ex-Sowjetunion und auch in den USA (Windbreaks). Jedenfalls hat Böhm mit Praxispartnern 2019 den Deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft gegründet.

Mehr Tierschutz dank der „mobilen Schlachtbox“

Auch im oberbayerischen Schongau wird auf technische Innovationen gesetzt, um Höfe konservativ zu führen. Florian Jocher verfügt über einen „topmodernen“ Stall und läßt seine 75 Kühe von einem Melkroboter betreuen, der sein Demeter-Vieh nicht nur melkt, sondern auch ihre Milchwerte mißt und anhand des Milchzuckerspiegels eine Euterentzündung registriert, wenn sie von außen noch gar nicht erkennbar ist. Der Roboter öffnet dann der Kuh eine Hintertür, um sie von der Herde zu separieren, gleichzeitig auf Jochers PC Alarm schlagend. Der ganze Aufwand dient einzig dem Ziel, eine artgerechte, letztlich vormoderne Viehhaltung zu optimieren.

Wolfram Wiggert, Ökolandwirt im Hochschwarzwald, ist ebenfalls Viehhalter, konzentriert sich indes mehr auf die Biologie seines Bodens, um einen doppelten Effekt zu erzielen. Dabei schwört er auf die Luzerne. Einerseits füttert er mit der Energiepflanze seine „topmoderne“ 2,6-Megawatt-Biogasanlage, deren Strom er ins Nahwärmenetz der Stadt Löffingen einspeist und deren Gärreste ihm organischen Dünger liefern. Anderseits steigert Wiggert mit ihr die Bodenfruchtbarkeit, denn diese Pflanze transportiert hocheffizient Stickstoff aus der Luft und fixiert ihn im Boden, so daß sich nährstoffreiche Humuserde bildet.

So erbringt die Natur in seinem Umfeld wieder Ökosystemleistungen wie im 19. Jahrhundert. Dank einer „mobilen Schlachtbox“ sieht es auch auf dem Uria-Hof im Zollernalbkreises so aus, als sei die Vergangenheit zurückgekehrt. Seine Erfindung erlaubt dem Biobauern Ernst Hermann Maier, seinen 300 weitgehend autonom im Großfamilienverbund auf der Weide lebenden Tieren den „schrecklichen Schlachthof“ zu ersparen: Maier tötet seine Schlachtrinder auf der Weide und läßt sie in der Box ausbluten. Er sei damit international zum Wegbereiter tierfreundlicher Tierhalter geworden, denn der Schweizer Bundesrat will die Weidetötung wohl auch erlauben. Die gesalzenen Fleischpreise in Maiers Hofladen signalisieren allerdings, daß hier nur eine Marktnische expandiert: 24,50 Euro für ein Kilo Rinderhack und 78,50 für ein Kilo Filet kann sich nicht jeder leisten.

 uria.de

 agroforst-info.de

 fs.usda.gov