© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Er ist wieder da – vorerst
Andreas Kalbitz: Brandenburgs AfD-Vorsitzender kann einen juristischen Erfolg gegen den Bundesvorstand verbuchen / Der Fall offenbart die Bruchlinien innerhalb der Partei
Jörg Kürschner / Christian Vollradt

Wie so häufig nach der Verkündung von Gerichtsentscheidungen braucht es einen Augenblick, um einen Richterspruch in seiner gesamten Tragweite zu erfassen. Diese Erkenntnis galt auch am vergangenen Freitag, als das Berliner Landgericht dem Eilantrag von Andreas Kalbitz gegen seinen Ausschluß aus der AfD stattgab. Teilweise. Zunächst entstand der Eindruck, der Brandenburger Politiker habe sich gegen seinen Widersacher, Bundeschef Jörg Meuthen, auf ganzer Linie durchgesetzt. Eine knappe Mehrheit des 13köpfigen Bundesvorstands hatte Kalbitz’ Parteimitgliedschaft Mitte Mai annulliert. Begründung: Im März 2013 habe er in dem Antrag seine früheren Mitgliedschaften in der 2009 verbotenen rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) sowie bei den Republikanern verschwiegen (JF 22 und 23/20) und damit den Parteivorstand arglistig getäuscht, wie AfD-Anwalt Joachim Steinhöfel argumentierte. 

Kalbitz, der sich vor Gericht von seinem Anwalt Andreas Schoemaker vertreten ließ, legte eine eidesstattliche Versicherung vor, in der er eine HDJ-Mitgliedschaft bestritt. In einer weiteren versicherte der ehemalige Bundesführer der HDJ, Sebastian Räbiger, eidesstattlich: Die Tatsache, daß einer Person vom Mitgliederverwaltungsprogramm des Vereins eine Nummer zugewiesen wurde, bedeute nicht, „daß diese Person Mitglied der HDJ war“. Was Räbiger nicht an Eides statt versicherte: daß Kalbitz niemals Mitglied der HDJ gewesen sei. Auf diese Tatsache verwies der Anwalt der AfD mehrfach während der Verhandlung. Doch darum ging es im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht. 

Die 63. Zivilkammer erkannte seitens des Bundesvorstands einen Verstoß gegen die vom Parteiengesetz vorgeschriebenen Abläufe. Bis zu einem rechtskräftigen Abschluß des Hauptsacheverfahrens vor dem Bundesschiedsgericht der AfD seien Kalbitz daher „alle sich aus der Mitgliedschaft in der AfD und ihren Organen ergebenden Rechte uneingeschränkt zu belassen“.

Abzuwägen waren mögliche Nachteile, falls die AfD-Mitgliedschaft von Kalbitz bis zur Klärung vor dem Schiedsgericht annulliert bliebe. „Wenn er erst in zwei Jahren wieder aufgenommen wird, ist er politisch weg vom Fenster“, so Schoemaker. Zudem könnten Vorstandsbeschlüsse unwirksam sein, wenn der Brandenburger längere Zeit nicht mitwirken dürfe. Da mit dem Urteil des Schiedsgerichts früher gerechnet wird als mit einer Rechtsmittelentscheidung des Kammergerichts, ist ungewiß, ob der Vorstand gegen das Urteil des Landgerichts Berufung einlegt.

Parteispitze hofft auf rasche Entscheidung

Noch am Freitag meldeten sich mehrere Vorstandsmitglieder mit – widersprüchlichen – Stellungnahmen zu Wort. Co-Sprecher Tino Chrupalla nannte die Entscheidung der Richter „richtungsweisend“ und forderte, auf dieser Grundlage „sollte jetzt die Ruhe einkehren“. Und auch der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland mischte sich ein. Als Jurist habe er „dieses Ergebnis befürchtet“. Er appelliere daher „an die knappe Mehrheit im Bundesvorstand, sich zu überlegen, ob sie den Weg der juristischen Auseinandersetzung weiterführen will, da diese offensichtlich zu Kollateralschäden in Partei und Bundestagsfraktion führt“. Vize-Bundessprecherin Beatrix von Storch befand dagegen, „das Landgericht hat nicht über die Frage des Endes der Parteimitgliedschaft entschieden, sondern die Entscheidung darüber beim Bundesschiedsgericht der Partei belassen“. 

Bitter für die Mehrheit des Bundesvorstands um Jörg Meuthen ist, daß Antragsteller Kalbitz nun bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts wieder Mitglied der AfD ist – mit allen Rechten und Pflichten. So meldete er sich auch am Montag dieser Woche wieder als Teilnehmer bei der wöchentlichen Telefonkonferenz des Bundesvorstands.  Und bekam mit, daß die Schriftsätze des Vorstands für das Bundesschiedsgericht abgesegnet wurden – im Verfahren gegen ihn, Andreas Kalbitz. 

In der Parteispitze hofft man nun auf ein rasches Urteil des neunköpfigen Gremiums. Optimisten halten die erste Juli-Hälfte für möglich, andere sprechen vorsichtiger von „in den kommenden Monaten“. Schließlich rückt das Superwahljahr 2021 näher, da kann man sich eine juristische Hängepartie nicht leisten. Die ehrenamtlich tätigen Richter werden große Sorgfalt obwalten lassen, denn eine Anfechtung der unterlegenen Seite ist sicher. Dafür wäre dann die Zivilgerichtsbarkeit zuständig, also das Kammergericht und in letzter Instanz möglicherweise der Bundesgerichtshof. Bestätigt das Bundesschiedsgericht den Beschluß der Vorstandsmehrheit, wäre Kalbitz allerdings Nicht-Mitglied und müßte versuchen, sich „von außen“ über den Instanzenweg wieder in die AfD hineinzuklagen.  

Der Brandenburger sagte angesichts der Entscheidung des Landgerichts am Freitag, nun müßten sich diejenigen, die diese „Fehlentscheidung zu verantworten haben, der Verantwortung stellen“. Auch Thüringens AfD-Chef Björn Höcke zielte in einer Stellungnahme auf die Kalbitz-Gegner und kritisierte Parteichef Meuthen scharf: „Zum dritten Mal in unserer sehr jungen Parteigeschichte will also einer unserer Bundessprecher Teile der Partei mundtot machen oder sogar aus der Partei drängen“, schrieb er bei Facebook in Anspielung auf Meuthens Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry. Meuthen behindere und zerstöre die Arbeit der Partei. Später empfahl er eine neue Internetseite namens Alternative-Basis.de, die allerdings ohne gültiges Impressum daherkommt. Titel eines der anonymen Beiträge: „Was kostet unsere Partei der ‘Fall Kalbitz’?“ 

Meinungsaustausch ohne Haupt des einstigen Flügels

Unterdessen wurden jene Parteimitglieder enttäuscht, die sich von der Tagung des Parteikonvents am Wochenende ein Tribunal gegen AfD-Co-Chef Meuthen erhofft hatten. Bei dem Treffen im sächsischen Lommatzsch blieb ein ausdrücklich gegen ihn gerichteter Antrag zwar auf der Tagesordnung. Darin warfen die niedersächsischen Delegierten Armin-Paulus Hampel und Stephan Bothe Meuthen „unverantwortliche Spaltungsversuche“ vor. Wenn für ihn, so hieß es in dem Antrag, die „zugegebenermaßen große Herausforderung, das breite Meinungsspektrum innerhalb der AfD in Einigkeit zu bündeln und diese Energie konzentriert und schlagkräftig auf die politischen Mitbewerber nach außen zu richten“, zu groß gewesen sei, „dann müssen persönliche Konsequenzen hieraus gezogen werden und es darf keinesfalls die gesamte Partei für das eigene Scheitern durch unverantwortliche Spaltungsversuche in Mithaftung genommen werden“. Die kaum verhohlene Rücktrittsforderung lehnten 27 Delegierte ab, 23 stimmten ihr zu. Laut Teilnehmern ging es hinter verschlossenen Türen zuweilen hitzig zu. Ein ebenfalls gegen Meuthen gerichteter Antrag, der auf Unstimmigkeiten bei der Finanzierung des Landtagswahlkampfs 2016 in Baden-Württemberg abzielte, wurde von den Thüringer Antragstellern schließlich zurückgezogen. 

Parallel zum Konvent hatten sich die Vorsitzenden fast aller Landesverbände der AfD auf Einladung des nordrhein-westfälischen Parteichefs Rüdiger Lucassen am vergangenen Samstag zu einem informellen Meinungsaustausch in der Düsseldorfer Parteizentrale getroffen. Die Inhalte sollten vertraulich bleiben, Beschlußfassungen standen ausdrücklich nicht auf dem Programm. Es sei vor allem darum gegangen, Kontroverses sachlich zur Sprache zu bringen. 

Im Vorfeld hatte allerdings ausgerechnet Björn Höcke, Anführer des mittlerweile offiziell aufgelösten „Flügels“, seine Teilnahme „schweren Herzens“ abgesagt. Die Gründe blieben im dunkeln: Er habe „erwartet, daß wir alle gemeinsam unvoreingenommen in einen informellen Gedankenaustausch eintreten“. Leider hätten Diskussionen im Vorfeld des Treffens gezeigt, „daß nicht mit der notwendigen Offenheit aller Teilnehmer gerechnet werden kann“. Innerparteiliche Kritiker Höckes bezeichneten dies als vorgeschoben. Tatsächlich, so ihre Vermutung, habe dem Thüringer offenbar nicht gepaßt, daß er das Treffen nicht als Bühne für sich habe nutzen und dominieren können. Ursprünglich hatten gerade Höcke und andere Vorsitzende von Ost-Landesverbänden auf ein Treffen ohne Bundesvorstand gedrängt. Bundestagsfraktionschef Gauland hatte daraufhin Lucassen um die Organisation gebeten; der sagte zu, unter der Bedingung, alle Landesverbände einzubeziehen. Als einer unter vielen, mehrheitlich ihm gegenüber eher kritisch eingestellten Parteifreunden? Nicht nach dem Geschmack dessen, der sich lieber mit Fans umgibt. 

Andreas Kalbitz wiederum wurde am Dienstag von den Mitgliedern der AfD-Landtagsfraktion in Potsdam mit 16 Ja- und 5 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung erneut zum Vorsitzenden gewählt.