© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Kampf der Kulturen
Präsidentschaftswahl in Polen: Mit den Kandidaten Andrzej Duda und Rafal Trzaskowski ringen zwei Lager miteinander
Paul Leonhard

Amerikanisches Militär sichert künftig noch mehr die Souveränität Polens und schreckt Rußland ab, vielleicht sogar über die bereits versprochenen 1.000 Soldaten hinaus. Und der polnische Präsident schüttelt seinem amerikanischen Amtskollegen vielleicht in dieser Woche im Weißen Haus die Hand, auch um US-Investitionen ins Land zu holen. Der Endspurt im Wahlkampf für Andrzej Duda erhält einen außenpolitischen Akzent.

Fischen in Regenbogen-Gewässern

Daß die Schwulen- und Lesbenbewegung „Kampagne gegen Homophobie“ warnt, die am 28. Juni stattfindende Präsidentenwahl sei eine zwischen einerseits europäischen und andererseits traditionellen russischen Werten, „eine Wahl zwischen Demokratie und Autokratie“, und unverhohlen droht, „wir werden mit ihnen an den Wahlurnen abrechnen“, ist geradezu das I-Tüpfelchen für den im Sturm stehenden Noch-Präsidenten im katholischen Polen. Denn Rafal Trzaskowski, der erst seit Mitte Mai an die Stelle der in Umfragewerten schlecht dastehenden Malgorzata Kidawa-Blonska, in den Wahlkampf eingestiegen ist, gilt als der Favorit der Jungen, Hippen, sich als Weltbürger Fühlenden in den westpolnischen Großstädten. Er hat Duda die sicher geglaubte Wiederwahl gehörig unsicher gemacht.

Der amtierende Präsident unterzeichnete im Wahlkampf eine Charta, die Ehe und Familie in den Feldern Recht, Wirtschaft, Gesellschaft schützen soll und als Werterichtschnur gedacht ist. Sie stellt sich klar gegen ideologische Auflösungskonzepte wie Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare: Duda hat einen Pflock eingerammt.

Sein wichtigster Konkurrent, der Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski, tickt da ganz anders. Der Präsidentschaftskandidat des linksliberalen Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition (KO) setzte vor knapp eineinhalb Jahren in der Hauptstadt Regenbogen-Akzente mit Losungen wie „Liebe schließt niemanden aus“, einer LGBTplus-Charta (JF 18/19) sowie der Einsetzung eines Bevollmächtigten für die Anliegen der organisierten Homosexuellen-Bewegung. Der 48jährige unterstützt all das, was laut Dudas „Programm für die Familien“ jetzt unterbleiben soll. Der um scharfe Worte nie verlegene, umtriebige frühere Verteidigungsminister Antoni Macierewicz (PiS) ätzte bei einem Bürgertreffen in Ostpolen Richtung Trzaskowski, dieser schicke uns „ins Nirgendwo – Hauptsache, nicht nach Polen“. Dessen homosexuellenfreundliches Programm sei eine „Reklame und Unterstützung von Kindesmißbrauch“: „Die Leute erklären, was für ein schreckliches Verbrechen Pädophilie ist, und dieselben Leute wollen Pädophilie in der Erziehung verbindlich machen.“

Wahlen werden in Polen immer noch in den Kleinstädten und den ländlichen Regionen entschieden. Den Menschen dort ist der Politologe Trzaskowski mit Dreitagebart nur schwer zu vermitteln, während ihnen der seit fünf Jahren amtierende Präsident Duda das Gefühl gibt, ein verläßlicher Fels in der tosenden Brandung zu sein, die alle geltenden Regeln, alle nationalen Traditionen in Frage stellt. Ende März besuchte er im Nationalheiligtum Tschenstochau die Abendmesse und betete vor dem Bild der Schwarzen Madonna gegen die Virus-Pandemie. Kameras des katholischen Senders TV Trwam übertrugen direkt. Toleranz für Schwule und Lesben, so Duda andernorts, sei ein „Verstoß gegen Gottes Gesetze“, eine „Ideologie des Bösen“, ein „Irrweg des Westens“, gegen den sich schon der „polnische Papst“ Johannes Paul II. gewandt habe. Und der habe schließlich auch gegen die Kommunisten gekämpft. Die polnische katholische Kirche hat dem nichts hinzuzufügen.

Prognosen sehen hauchdünnen Abstand

„Kauft polnische Produkte, insbesondere Lebensmittel“, forderte Duda nach dem Besuch eines Obst und Gemüse verarbeitenden Betriebes im südpolnischen Pinczów. „Gesetze, die euch die Familien- und Rentenleistungen wieder wegnehmen, werden von mir nicht unterschrieben werden, solange ich Präsident bin“, versicherte er in Pommern.

In den neuesten Umfragen von Montag dieser Woche würden Duda im ersten Wahlgang nur 41 Prozent der Wähler ihre Stimme geben, ermittelte das Institut Ibris im Auftrag des Portals Wirtualna Polska; das Institut United Surveys im Auftrag der Wirtschaftszeitung Dziennik/Gazeta Prawna gab am Freitag der Vorwoche einen halben Prozentpunkt mehr. Trzaskowski liegt demnach abgeschlagen bei 27,1 Prozent (Ibris) oder 28,3 (United Surveys), hat aber aufgeholt. Damit profitiert die Opposition von einem Streit innerhalb der Regierungspartei. Diese hatte trotz der Ausgangsbeschränkungen während der Corona-Pandemie an den ursprünglich für den 10. Mai geplanten Wahltermin festhalten wollen. Die Nationalkonservativen wollten eine reine Briefwahl durchsetzen, scheiterten aber mit ihrem Vorschlag für eine dafür nötige Änderung des Wahlrechts in den eigenen Reihen. Letztlich wurde die Wahl weder verschoben noch abgesagt. Die Wahllokale blieben einfach geschlossen, und so konnte mangels abgegebener Stimmen kein Ergebnis verkündet werden.

Neben den Schwergewichten sind weitere Kandidaten im Rennen: Rundfunkmoderator Szymon Holownia, Wladyslaw Kosiniak-Kamysz von der Bauernpartei PSL, Robert Biedron von der links-emanzipatorisch-grünen Wiosna-Partei („Frühling“) und Krzysztof Bosak (Konfederacja). Realistische Chancen, es in eine Stichwahl zu schaffen, hat keiner der Verbleibenden. Und da beginnen für Duda die Aussichten auf veritable berufliche Veränderungen: Die Wähler der ausscheidenden Kandidaten wollen in der Stichwahl ganz überwiegend für Trzaskowski stimmen – Holownias Wähler zu 74 Prozent, die Wähler Biedrons gar zu 97 Prozent. Alle Umfragen prognostizieren für den wohl nötigen zweiten Wahlgang am 12. Juli ein hauchdünnes Kopf-an-Kopf-Rennen des linksliberalen Globalisten Trzaskowski mit dem christkonservativen Nationalisten Duda: United Surveys ermittelte für den Warschauer Bürgermeister, der nicht unter Erfolgsdruck steht, 46,9 Prozent; für Duda, für den es um alles geht, nur 45,8 Prozent. Ibris dagegen ermittelte am Montag einen Unterschied von nur 0,1 Prozentpunkten. Polen ist eben gesellschaftlich genauso gespalten wie sein großer westlicher Nachbar.