© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Für Ruhe sorgt allein Allah
Frankreich: Tschetschenen überfallen drei Tage lang Dijons Vorstadt Les Grésilles / Polizei greift nicht ein
Eva-Maria Michels

An drei Abenden, vom 12. bis zum 14. Juni, unternahmen Tschetschenen aus ganz Frankreich, aber auch aus Belgien und Deutschland eine Strafexpedition gegen maghrebinische Dealer in Dijon, weil diese am 10. Juni einen 16jährigen Tschetschenen schwer verletzt und mit den Worten „Wir lassen dich leben, damit du den anderen sagen kannst, daß wir das gleiche mit jedem von ihnen machen werden“ bedroht hatten.

Am folgenden Montag, dem 15. Juni, kam es zu schweren Ausschreitungen im Einwandererviertel Les Grésilles, an denen laut des Präfekten des Départements Côte d’Or, Bernard Schmeltz, jedoch keine Tschetschenen beteiligt waren. Erst als abends die Eliteeinheit der Polizei, der Raid (französisch: Suche, Unterstützung, Intervention, Abschreckung), einrückte, wurde Dijon oberflächlich befriedet. Einen echten Frieden brachten jedoch erst die Verhandlungen nach muslimischer Sitte zwischen Vertretern der tschetschnischen und der maghrebinischen Community im Garten der Moschee von Quétigny in der Nähe von Dijon am 16. Juni: Die Maghrebiner gestanden ein, daß es ein Fehler war, den jungen Tschetschenen verprügelt zu haben und entschuldigten sich dafür. Die Tschetschenen nahmen die Entschuldigung an. Damit waren für sie Gerechtigkeit und Ehre wiederhergestellt. Bei der Polizei hatte die Familie des 16jährigen Tschetschenen keine Anzeige erstattet.

Seither kommen immer mehr erstaunliche Details zu den Auseinandersetzungen ans Tageslicht: Der regionale Generalsekretär der Polizeigewerkschaft Alliance, Stéphane Ragonneau, erklärte am 17. Juni in einer im Internet inzwischen nicht mehr abrufbaren Sendung auf BFMTV, daß die Tschetschenen am Freitag abend schwer bewaffnet und sehr bestimmt direkt zur Polizei gegangen seien und klargemacht hätten, daß die Polizisten von ihnen nichts zu befürchten hätten und sie einfach ganz ruhig bleiben und ihnen, den Tschetschenen, freie Hand lassen sollten.

Verschont, weil er Franzose war

Videos beweisen, daß die Polizisten das ganze Wochenende über so handelten, während die Tschetschenen die Nordafrikaner bestraften. Auch ein Bewohner von Les Grésilles in der nicht mehr einsehbaren BFMTV-Sendung bestätigte dies: Die Polizei habe das Viertel am Samstag um 20 Uhr abgeriegelt, und die Tschetschenen seien um 20.05 Uhr unbehelligt angerückt. Der Staatsanwalt von Dijon, Eric Mathais, berichtete in der Pressekonferenz vom 20. Juni, daß die Tschetschenen einen Bewohner von Grésilles vor Prügel verschonten, weil er ein ethnischer Franzose war.

Insgesamt erlitten 20 Maghrebiner zum Teil schwere Verletzungen. Während bereits am Montag drei Nordafrikaner vorübergehend festgenommen wurden, von denen nur einer eine symbolische Geldstrafe auferlegt bekam, drohen den vier verhafteten Tschetschenen zehnjährige Freiheitsstrafen und die Aberkennung des Flüchtlingsstatus.

Doch ließ die Polizei die Tschetschenen wirklich nur gewähren, um schwerere Auseinandersetzungen mit Verletzten und Toten zu vermeiden, wie es Polizist Ragonneau am 17. Juni gegenüber dem staatlichen Regionalsender FranceBleu erklärte? Mehrere Tweets vom Montag, dem 15. Juni, als die Maghrebiner randalierten, drängen den Verdacht auf, daß sich die Polizisten heimlich über den Angriff der Tschetschenen freuten: So konnte man etwa auf dem offiziellen Twitterkonto der Mehrheitsgewerkschaft der Polizeikommissare, Synergie-Officiers, folgenden Text lesen: „Die gleichen, die dieses Wochenende Pipi in ihre Jogginghosen machten und sich verängstigt hinter die Polizisten in Dijon flüchteten, wollen jetzt, da die Tschetschenen weg sind, den starken Mann spielen und sich mit der Polizei Kämpfe liefern.“

Die Geschehnisse von Dijon haben vor dem Hintergrund des völlig zerrütteten Verhältnisses der Polizei zu Innenminister Christophe Castaner eine gewisse Brisanz. Seit Castaner als Antwort auf die teilweise gewalttätigen Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus am 8. Juni verkündete, daß jeder Polizist beim Verdacht auf Rassismus suspendiert und der Würgegriff bei Verhaftungen verboten werde, protestieren Polizisten im ganzen Land gegen diese Maßnahmen durch die symbolische Niederlegung ihrer Handschellen – ohne jedoch gehört zu werden.

Statt dessen mußten am Samstag, dem 20. Juni, 150 CRS (eine Art fränzösche Bereitschaftspolizei) eine nicht genehmigte Demonstration der Bewohner von Grésilles absichern, die wegen der tschetschenischen Strafexpedition die Absetzung des örtlichen Präfekten forderten und sich mit den randalierenden Drogenbanden vom Montag solidarisierten. Die Tschetschenen dagegen, die ursprünglich zeitgleich in Paris gegen die Allgegenwärtigkeit der Drogenbanden und die Beschmutzung ihrer Ehre demonstrieren wollten, akzeptierten das geltende Demonstrationsverbot.

Politiker aller Parteien fordern jetzt härteste Sanktionen gegen die tschetschenische Selbstjustiz, auch wenn inzwischen die Polizeiermittlungen die tschetschenische Seite von Verbindungen zur organisierten Kriminalität oder zum Dschihadismus freigesprochen haben. Drogenkriminalität benennt nur Marine Le Pen vom Rassemblement National (RN) als Problem.