© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Wann ist Schluß?
Die „taz“ streitet um die Grenzen des Journalismus
Gil Barkei

Die Aufregung um einen polizeifeindlichen Text der taz markiert einen neuen Tiefpunkt in der Auseinandersetzung um journalistische Grundsätze in Deutschland und hat nun vielleicht Folgen für die junge Autorin Hengameh Yaghoobifarah (Porträt Seite 3). 

Diese hatte in der Kolumne „All cops are berufsunfähig“ darüber sinniert, wo die Beamten eingesetzt werden könnten, „wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht“. Da „der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch“ sei, würden Behörden, Kulturbetrieb, Politik, Justiz, Gesundheits- und Bildungswesen genauso wegfallen wie „Baumärkte, Tankstellen, Kfz-Werkstätten“ und die Gastronomie („wegen Vergiftungsgefahr“). Spontan falle ihr nur „eine geeignete Option“ ein: „die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind.“ Dort „unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“.

Seehofer rudert nach Kritik zurück

Polizisten als Müll: Das ging Bundes-innenminister Horst Seehofer doch zu weit. Nachdem bereits die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Yaghoobifarah angezeigt hatte, kündigte auch der CSU-Politiker am Montag an, Strafanzeige zu erstatten und verband die Äußerungen der Kolumnistin mit den Ausschreitungen am Wochenende in Stuttgart, bei denen 19 Polizisten verletzt wurden. „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen“, sagte er gegenüber der Bild-Zeitung. Beim Deutschen Presserat gingen außerdem Dutzende Beschwerden ein.

Die Vergangenheit lehrt, daß die taz mit ihren Vorstößen, das linksextremistische Milieu auch weiterhin als Leserschaft zu behalten, immer wieder Grenzen gezielt überschreitet. Der mittlerweile zu Springer gewechselte Deniz Yücel wünschte Thilo Sarazin einst, „der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten“. Autor Fritz Tietz träumte von „Backpfeifen“ gegen „die inländischen Clowns der Identitären Bewegung, von Kubitscheks Sezession, Tichys Eingriff, Höckes Flügel und Elsässers Compact“. Und Hengameh Yaghoobifarah forderte bereits 2017: „Deutsche, schafft Euch ab!“

Die Masche ist dabei immer die gleiche: ein launiger Schreibstil, so kann man sich hinterher immer damit herausreden, es handle sich lediglich um Satire. Auch jetzt wieder sei ja alles nur Satire gewesen. Und zahlreiche, auffällig junge Medien und Journalisten eilen dem Blatt schnell zur Hilfe. So bezeichnete auch funk, das Jugendportal von ARD und ZDF, Yaghoobifarahs Äußerungen als einen „Satire-Text über die Zukunft der Polizei“. Eine „unfaßbare Eskalation“ twitterte Buzzfeed-Chefredakteur Daniel Drepper mit Blick auf Seehofers Vorgehen. Für Tobias Singer vom Branchendienst Meedia „offenbart sich damit ein autokratisches Verständnis von Pressefreiheit“. Dies sei ein „fatales Signal an unsere Demokratie“. Patick Bahners von der FAZ stellte fest: „Es handelt sich um eine Satire.“ Die Polizei sei „auf Kritik von außen angewiesen. Je kühler, je schärfer, desto besser.“

Rückendeckung kommt zudem aus der Politik. Der politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, nannte die geplante Anzeige Seehofers auf Twitter einen „Angriff auf die Pressefreiheit“. SPD-Vorsitzende Saskia Esken stellte „sehr infrage, ob es Aufgabe eines Bundesinnenministers ist, Anzeige zu stellen gegen kritische Journalisten“.

Zuletzt stellten sich mehrere hundert Unterstützer aus Medien, Politik und Kultur – darunter Jan Böhmermann und Carola Rackete – in einem offenen Brief an Angela Merkel (CDU) hinter Yaghoobifarah und betonten, die angekündigte Strafanzeige Seehofers sei ein „massiver Angriff gegen die Presse- und Meinungsfreiheit“. 

Die Kanzlerin ließ darauf verlauten, sie befände sich in „vertraulichen Gesprächen“ mit dem Innenminister. Dieser wiederum ließ plötzlich erklären, „die Entscheidung“ für eine Anzeige sei „noch nicht gefallen“. Unterstützung erhält Seehofer dagegen aus der Unionsfraktion. 

Bereis wirklich Strafanzeige gestellt hat dagegen die stellvertretende AfD-Chefin Beatrix von Storch. „Dieses Affentheater von Seehofer ist doch nicht mehr auszuhalten“, kommentierte sie dazu auf Twitter.

Der Streit hat eine interne Diskussion bei der taz ausgelöst, der an den aktuellen „US-Bürgerkrieg“ (JF 26/20) zwischen jungen Haltungsjournalisten und älteren linksliberalen Pressevertretern erinnert. Die Süddeutsche spricht von einem „Generationenkonflikt“ bei der taz, der „schon lange schwelt“. Vor allem einige jüngere Autoren wollten sich oft nicht mit Analysen oder argumentierenden Meinungsartikeln begnügen, sondern mit Härte angreifen, oft aus persönlicher Betroffenheit, wird eine taz-Redakteurin zitiert.

In einer „innerredaktionellen Debatte“ erschienen in den vergangenen Tagen mehrere konträre Meinungsbeiträge von taz-Mitarbeitern. Die „Polizei-Müll-Kolumne überschreitet eine Grenze, die wir achten sollten: die Herabwürdigung einer Gruppe Menschen“, schreibt beispielsweise der Parlamentsbüro-Korrespondent Stefan Reinicke. Das erinnere „an rechte Hate Speech“. Die „Hybris, diskursive Regeln ignorieren zu dürfen, gedeiht offenbar auf dem Humus des Bewußtseins, Betroffene zu repräsentieren, recht gut“. 

taz-Chefredakteurin Barbara Junge, die sich anfangs noch für die „danebengegangene“ Kolumne entschuldigte, stellt jedoch klar, Seehofers Reaktion sei eine „Eskalation“. Die taz stehe „vor ihrer Autor.in und wird sie publizistisch wie juristisch verteidigen“.