© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Der bipolare Testfall
Als der Kalte Krieg plötzlich heiß wurde: Vor 70 Jahren begann der Koreakrieg
Thomas Schäfer

Im Jahre 1910 annektierte das Kaiserreich Japan das benachbarte Kaiserreich Korea und verwandelte es in eine Kolonie. Deshalb hätte Korea nach der Kapitulation Tokios im September 1945 eigentlich wieder in die Unabhängigkeit entlassen werden müssen. Doch das wurde von Großbritannien hintertrieben, weil dies ein Präzedenzfall gewesen wäre. Immerhin hatten auch einige asiatische Kolonien des Empire im Zweiten Weltkrieg ganz oder zum Teil unter japanischer Besatzung gestanden. Also teilten sich die Sowjetunion und die USA die Beute, indem sie eine Demarkationslinie auf der Koreanischen Halbinsel entlang des 38. Breitengrades zogen und damit den Norden beziehungsweise Süden Koreas zu ihrer jeweiligen Einflußzone machten. Das gipfelte im Spätsommer 1948 in der Proklamation der Republik Korea durch den US-Protegé Rhee Syng-man und der Ausrufung der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) seitens der Kreml-Marionette Kim Il-sung, wobei dieser nordkoreanische Führer hernach nicht nur verbal, sondern auch militärisch aufrüstete. Damit stand zu erwarten, daß die Armee der DVRK bald mit Billigung Stalins zur gewaltsamen Wiedervereinigung Koreas schreiten würde.

Gemäß der am 12. März 1947 verkündeten Truman-Doktrin, nach der die USA allen Völkern, deren Freiheit durch den Kommunismus bedroht war, Beistand leisten wollten, wären deshalb Konsequenzen fällig gewesen. Doch die USA blieben passiv und vertrauten auf ihr Atombombenmonopol, das sowohl Stalin als auch Kim von militärischen Abenteuern abhalten sollte. Diese Strategie erwies sich jedoch seit August 1949 als unbrauchbar, denn ab dann besaß Moskau seine eigene Bombe. Dazu kam der Sieg der chinesischen Kommunisten unter Mao Tse-tung, die sich ebenfalls hinter Nordkorea stellten. Dergestalt ermutigt, wollte Kim nun losschlagen, wofür er schließlich den expliziten Segen Stalins erhielt. Der Diktator im Kreml betrachtete das Ganze als Testfall, welcher zeigen sollte, wie weit die USA zu gehen bereit seien, wenn es zu einer militärischen Intervention der Kommunisten in ihrem Einflußbereich komme.

Die Sowjetunion stand als Aggressor am UN-Pranger

Die Antwort hierauf erhielt „Uncle Joe“ unmittelbar nachdem die hochgerüstete Koreanische Volksarmee (KVA) am 25. Juni 1950 über den 38. Breitengrad hinaus nach Süden vorgestoßen war und damit den Koreakrieg entfacht hatte: Washington nutzte seine dominierende Stellung in der neugegründeten Organisation der Vereinten Nationen (Uno), um Nordkorea zum Aggressor erklären zu lassen und freie Hand für militärische Maßnahmen gegen Kims Regime zu erhalten. Dabei kam den USA zugute, daß die UdSSR zu diesem Zeitpunkt keinen Vertreter in den UN-Sicherheitsrat entsandt hatte, um so gegen die Nichtanerkennung der Volksrepublik China als ständiges Mitglied dieses Gremiums zu protestieren. Damit entfiel natürlich auch die Möglichkeit eines sowjetischen Vetos, zu dem es wohl sicher gekommen wäre – mit der Konsequenz, daß die USA dann kein Mandat für das Eingreifen in Korea erhalten hätten. Insofern beging Moskau hier einen schweren taktischen Fehler.

Aufgrund der Resolutionen S.C. 82 bis 85 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom Juni und Juli 1950 wurde eine Streitmacht zur Zurückdrängung der KVA formiert, zu der Kontingente aus 22 UN-Mitgliedsstaaten gehörten, welche unter der Führung des amerikanischen Fünf-Sterne-Generals und Oberkommandierenden der Alliierten Mächte im Pazifikraum, Douglas MacArthur, standen. Diese griff zeitnah in die Kämpfe ein, konnte jedoch zunächst nicht verhindern, daß die KVA die südkoreanische Hauptstadt Seoul eroberte und bis Anfang September 1950 dann auch fast die gesamte Koreanische Halbinsel überrannte, während sich die Uno-Truppen nur noch auf einem Landstreifen im äußersten Südosten bei Busan hielten. 

Anschließend freilich wendete sich das Blatt: Im Zuge der „Operation Chromite“ gelang es MacArthur, starke Kräfte im Rücken der Nordkoreaner bei Incheon anzulanden, Seoul zurückzuerobern und den Angreifern schwere Verluste zuzufügen. Diese zogen sich daraufhin über den 38. Breitengrad zurück, während die Uno-Truppen nachstießen und bald in der Nähe der chinesischen Grenze standen. Das wiederum veranlaßte Mao im Oktober 1950, mehrere hunderttausend „Volksfreiwillige“ nach Nordkorea zu entsenden, welche die Alliierten ebenso schwer in Bedrängnis brachten wie die modernen MiG-15-Kampfflugzeuge, die Stalin nun mitsamt ihrer sowjetischen Piloten zur Verfügung stellte. Diese Abfangjäger erreichten auch die Dienstgipfelhöhe der viermotorigen B-29 der US Air Force, die Nordkorea bombardierten.

Den Uno-Truppen blieb in dieser Situation nur das erneute Absetzen nach Süden, woraufhin Präsident Truman am 16. Dezember 1950 den nationalen Notstand für sein Land ausrief, weil er die USA jetzt quasi im Krieg mit China und der UdSSR wähnte. Gleichzeitig ignorierte er aber den dringenden Rat MacArthurs, Atombomben über dem „Reich der Mitte“ abwerfen zu lassen.

Im Frühjahr 1951 gelang es der Uno-Streitmacht, bis etwa an die alte Demarkationslinie am 38. Breitengrad vorzurücken, wonach der Konflikt zum Stellungskrieg mutierte. Die einzige größere Schlacht seitdem war die von Heartbreak Ridge im Herbst 1951, bei der die von den USA geführte Allianz siegte, aber derart hohe Verluste erlitt, daß sie künftig weitere Großoffensiven unterließ und sich auf die Fortsetzung des strategischen Bombardements beschränkte, mit dem Nordkorea zermürbt werden sollte und das zahllose Zivilisten das Leben kostete. Insgesamt kostete der Krieg etwa vier Millionen Menschen das Leben, dreieinhalb Millionen Koreanern (Soldaten und Zivilisten), knapp 400.000 Chinesen und 37.000 US-Amerikanern. 

Parallel hierzu liefen seit Juli 1951 Friedensverhandlungen, die dann zum Waffenstillstand vom 27. Juli 1953 führten. Der sah vor, daß die Demarkationslinie wieder in etwa dem 38. Breitengrad folgte, womit der Koreakrieg faktisch mit einem Patt endete. Der einzige Gewinner war Mao, dessen Rüstungsindustrie stark von dem kriegsbedingten Technologietransfer aus der Sowjetunion profitierte. Andererseits führte sein späteres militärisches Auftrumpfen zum Bruch mit Moskau und damit zur nachhaltigen Schwächung des kommunistischen Machtblocks.