© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Fortschrittsmodell global vernetzter Nationalstaat
Unentbehrlich nicht nur in Krisenzeiten
(dg)

Anders als in der neudeutschen Bilderstürmerrepublik, dem „Land der programmatischen Geschichtslosigkeit“ (Rolf Peter Sieferle), gern behauptet, war das Deutsche Reich von 1871 weder nur autoritärer Machtstaat noch militarisierte Untertanengesellschaft. Sondern, wie der Freiburger Historiker Jörn Leonhard klarstellt (Forschung & Lehre, 5/2020), „ein internationales Fortschrittsmodell als Rechts-, Verwaltungs- und Sozialstaat, als Gehäuse einer weltweit integrierten Wirtschaft und einer global ausstrahlenden Wissenschaftsgesellschaft“. Wie von Max Weber (JF 25/20) realistisch erkannt, seien sein „machtbewußter globaler Ausgriff und seine internationale Vernetzung geradezu Voraussetzungen für sein Überleben in einer konkurrenzgeprägten Zukunft“ gewesen. Die Politik des deutschen Kaiserreichs paßte somit den Nationalstaat den Erfordernissen des imperialistischen Zeitalters an, kombinierte „strukturelle Globalisierung und sektorale De-Globalisierung“. Das ist das exakte Gegenteil der auf Selbstabschaffung durch „Souveränitätstransfers“ Richtung Brüssel und New York erpichten bundesdeutschen Außenpolitik. Das Management der Corona-Pandemie weltweit zeige jedoch, daß der aus dem 19. Jahrhundert überkommene Nationalstaat „weiterhin als wichtige, ja vielerorts entscheidende politische, rechtliche und emotionale Referenz in Krisenphasen“ wirke. 


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