© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

Die nächste Pandemie kommt ganz bestimmt
Je näher der Mensch dem Wildtier rückt, desto schlimmer steht es um die planetare Gesundheit
Dieter Menke

Das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) muß sich nicht nur der Corona-Skeptiker erwehren, auch der linksliberale Mainstream geht ans Eingemachte: Zum 110. Todestag seines Namensgebers forderte der Hamburger Professor für Geschichte Afrikas, Jürgen Zimmerer, die Umbenennung – Robert Koch, Nobelpreisträger, Hauptbegründer der Bakteriologie, Entdecker des Tuberkulose- und Cholera-Erregers und erster Direktor des 1891 eigens für ihn eingerichteten Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, war in seinen letzten Forscherjahren auch in Deutsch- und Britisch-Ostafrika engagiert.

Im Auftrag des Reichskolonialamtes und der Briten widmete er sich 1905/06 auf den Sese-Inseln im Viktoriasee der Bekämpfung der Schlafkrankheit (Afrikanische Trypanosomiasis), an der 20.000 Menschen gestorben waren. Doch die Behandlung mit dem Arsenmittel Atoxyl hat wenig Erfolg – einige seiner afrikanischen Patienten erblinden durch zu hohe Dosen sogar. Koch entdeckte aber, daß Gnus und Kaffernbüffel als Wirte des Krankheitserregers fungierten.

Alles Wild aus den Agarregionen verbannen?

Die Übertragung der Trypanosomen-Einzeller erfolgt durch Tsetse-Stechfliegen. Auch die Arsen-Therapie blieb die über hundert Jahre die einzige Hilfe. Erst 2019 kam mit Fexinidazol ein vielversprechender neuer Wirkstoff in die Zulassungsphase. Wie der Wissenschaftshistoriker Frank Uekötter (University of Birmingham) in seiner „Kleinen Geschichte des Artenschutzes“ erzählt (Aus Politik und Zeitgeschichte, 11/20), stellte auch die Bekämpfung der Rinderpest für den gefeierten „Helfer der Menschheit“ eine nicht zu bewältigende Herausforderung dar. Denn Koch fand keinen Impfstoff, um die Zuchtrinder deutscher und britischer Kolonisten gegen Abermillionen Fliegen zu schützen. So verfiel er auf die Idee, Rinder- und Wildtierherden zu trennen, um eine Übertragung des Pestvirus zu verhindern.

Dafür müsse alles Wild aus den Agarregionen verbannen. Zu diesem Zweck wollte Koch 1908 einen Feldversuch am Fuß der Usambara-Berge im Norden von Deutsch-Ostafrika starten. Doch zur großflächigen Ausrottung der potentiell gefährlichen Wildtiere kam es nicht, weil in der empörten deutsche Öffentlichkeit erstmals der sinngemäße Ruf wie Donnerhall erscholl: „Serengeti darf nicht sterben!“. Als „Kulturvolk“ seien die Deutschen verpflichtet, Tier- und Pflanzenwelt in ihren Schutzgebieten zu bewahren.

Uekötter erinnert mit dieser Kontroverse aus wilhelminischer Zeit an „eine der ersten großen Auseinandersetzungen in der Geschichte des Artenschutzes in Deutschland“. Und im heutigen Tansania kündigte sich vor über hundert Jahren zugleich an, was in der gegenwärtigen Corona-Pandemie eskaliert ist: Je zerstörerischer der Mensch in die Habitate von Wildtieren eingreift, desto gewisser schafft er Lebensräume, die seine eigenen Existenzgrundlagen, in erster Linie Gesundheit, Sicherheit, Wirtschaft, bedrohen.

Dieser Dialektik der Globalisierung widmet sich eine neue anglo-amerikanische Wissenschaftsdisziplin: Planetare Gesundheit. Deren Vertreter bekunden unisono, von der Corona-Pandemie nicht überrascht worden zu sein. Sie kommen in einem mit Gruselbildern von Wildtiermärkten illustrierten Report des britischen Umweltjournalisten John Vidal mit ihren düsteren Analysen zu Wort (Natur, 5/20). Kate Jones (University College London/UCL) identifizierte für den Zeitraum zwischen 1960 und 2004 nicht weniger als 335 neue Infektionskrankheiten, von denen sie mindestens 60 Prozent als zoonotisch einstufte, also auf Tier-Mensch-Übertragung. Darunter war das Lassa-Fieber, das 1969 erstmals in Nigeria auftrat und die durch den Verzehr von Flughunden ausgelösten Ebola-Ausbrüche in Westafrika. Ebenfalls von Flughunden über Schweine zum Menschen gelangte das Nipah-Virus-Infektion, welches 1998/99 in Malaysia wütete. Auch das erste Sars-Virus, das 2002 und 2003 von China ausgehend in 30 Ländern zu aus heutiger Sicht bescheidenen 700 Todesfällen führte, ist ursprünglich eine Zoonose.

„Eine Atombombe, die sicher hochgehen wird“

Abholzung, Rohstoffraubbau und exzessiver Flächenverbrauch als Folge von Bevölkerungsexplosion brächten Menschen in immer engeren Kontakt mit Tierarten, denen sie zuvor nie nahe kamen. Entsprechend nehmen Krankheitsübertragungen zu, resümiert Jones diese „versteckten Kosten wirtschaftlicher Entwicklung“. Werde die Biodiversität derart brutal reduziert, ergänzt die Biologin Felicia Keesing (Bard College/Annandale-on-Hudson), vermehren sich primär jene Arten, die am wahrscheinlichsten neue Krankheiten übertragen, etwa Ratten und Fledermäuse, die in den von Menschen verheerten Lebensräumen „regelrecht aufblühen“.

Richard Ostfeld (Cary Institute/Millbrook), der Wechselwirkungen zwischen der Gesundheit des Menschen und der des Naturhaushalts erforscht, bringt diesen Prozeß auf eine Faustformel: „Je mehr Durcheinander wir in die Wälder und Habitate bringen, desto größerer Gefahr setzen wir uns aus.“ Was nicht nur im globalen Süden geschehe, wie der Krankheitsökologe Thomas Gillespie (Emory University/Atlanta) warnt. Auch in den USA könne man dort, wo sich die Vorortsiedlungen in Wälder hineinfressen, beobachten, wie das Risiko einer von Zecken verursachten Infektion mit Lyme-Borreliose steige.

Eine Multiplikator-Rolle falle den „Frischmärkten“ zu, die in Afrika und Asien den Großteil der Lebensmittelversorgung garantieren. Da Wildtiere jeder Art bei den dortigen Kunden wie selbstverständlich auf dem Speiseplan stünden, sei „das einzige was sicher ist, die nächste Pandemie“, wie der Virologe Brian Bird (University of California) prophezeit. Im chinesischen Wuhan tauchte 2019 nur die Spitze des Eisbergs auf, als neben Fledermäusen auch Schuppentier und Schleichkatze in die engere Wahl der Überträgerkandidaten gerieten. Dabei biete allein der Huanan Seafood Wholesale Market in Wuhan das gesamte asiatische Wildtiersortiment an: von lebenden Wolfswelpen, Krokodilen, Skorpionen über Ratten und Füchse bis zu Schildkröten. Und der Xinfadi-Großmarkt in Peking war Quelle des neuen Sars-Cov-2-Ausbruchs in der 20-Millionen-Metropole.

Noch breiter sei das Angebot im nigerianischen Lagos. Der „berüchtigte Frischmarkt“ gleiche nach hygienischen Maßstäben „einer Atombombe, die früher oder später hochgehen wird“, ist sich Kate Jones sicher. Was dagegen getan werden könne? Die britische Ökologin klingt angesichts von 60 Jahren Entwicklungshilfe reichlich hilflos, wenn sie fordert, daß der globale Norden seinen die Naturzerstörung im Süden befeuernden Lebensstil endlich ändern und sich finanziell noch stärker engagieren müsse, um die „weltweite Biosicherheit“ zu erhöhen.

„Kleine Geschichte des Artenschutzes“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (11/20):

 bpb.de

 ucdavis.edu/

 ucl.ac.uk/

 www.xinfadi.com.cn