© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 27/20 / 26. Juni 2020

„Lasset die Kinder zu mir kommen“
Plüschtier-Gottesdienste sprechen erfolgreich Jüngere an, allerdings ist die Trennlinie zur Albernheit dünn
Boris T. Kaiser

Kinder spielen in der Bibel eine wichtige Rolle. Von Moses im Bastkorb bis zum Sohn Gottes selbst finden sie im Buch der Bücher rund 600mal Erwähnung. 

Jesus Christus, der einst im Stall von Bethlehem geboren wurde und später – als gerade mal 12jähriger Knabe – die Schriftgelehrten im Tempel von Jerusalem mit seinem Glaubensverständnis in Staunen versetzte, rief als erwachsener Prediger: „Lasset die Kinder zu mir kommen.“ 

Tiere sind in der Liturgie verankert

Die großen Kirchen taten sich dennoch nicht immer leicht damit, Kinder und Jugendliche für den Glauben und sich als Institution zu begeistern. Der Kommunions- beziehungsweise Konfirmandenunterricht wurde von vielen jungen Menschen seit jeher als zu trocken empfunden und war ihnen oft mehr lästige Pflicht auf dem Weg zu Geld und teuren Geschenken denn eine wirklich fundamentale Festigung ihrer Beziehung zu Gott. 

Auch die immer häufiger angebotenen Kindergottesdienste waren in so mancher Gemeinde eher eine Notlösung, damit die Kleinen durch ihr ständiges Gequengel nicht die Messe der Älteren stören. In vielen Kirchenverantwortlichen wuchs daher der Wunsch, eine Atmosphäre zu schaffen, die den christlichen Nachwuchs am Wochenende gerne früh aufstehen und mit echter kindlicher Freude zu den Gotteshäusern strömen läßt. 

Hierbei dürften auch die Freikirchen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben, deren Event-Gottesdienste klassischen Kirchen immer mehr den Rang ablaufen und vor allem bei jungen Gläubigen großen Anklang finden. Diese Mischung aus edlem Anliegen und schierer Verzweiflung über den Erfolg der „Konkurrenz“ hat zu manch wilden und mitunter ziemlich schrägen Auswüchsen bei der versuchten Rückgewinnung geführt. 

Mit sogenannten Plüschtier-Gottesdiensten versuchen immer mehr Pfarrer und Pastoren, Kinder und Eltern an ihre Kirche zu binden. Der Plüschtier-Gottesdienst ist die erweiterte Variante des Haustier-Gottesdienstes, zu dem die Gläubigen ihre Hunde, Katzen, Hasen und auf dem Land auch gerne mal Pferde, Ziegen oder Esel mitbringen – auf daß auch die Vierbeiner etwas vom Segen Gottes abbekommen sollen (schließlich waren sie schon im Stall zu Bethlehem anwesend). Wobei auch Goldfische und Wellensittiche natürlich nicht ausgeschlossen werden sollen. 

„Zu meiner Zeit wurde in den progressiven Kirchen noch gekifft, jetzt gibt es Vegetarier-Canapés“, spöttelte einst der Publizist Henryk M. Broder über die dort gereichten „Hostien“. Zum plüschigen Gottesdienst dürfen nun eben auch nichtlebendige (Kuschel)Tiere mitgebracht werden, was die ganze Sache, bei aller gebotenen Nächstenliebe, noch eine Spur grotesker macht. Wobei Tiere, also echte, in der christlichen Liturgie durchaus eine feste rituelle Verankerung haben.

So sind Reiterprozessionen, wie die Leonhardifahrt zu Ehren des heiligen Leonhard von Limoges, und Pferdewallfahrten, wie der traditionelle Georgiritt, vor allem in Bayern und Österreich, seit Jahrhunderten ein lebendiger Teil der Kirchengeschichte. Insbesondere in Seuchenzeiten ersuchten religiöse Bauern immer wieder den göttlichen Schutz durch den Segen des Dorfgeistlichen.

Dieses Brauchtum beruht aber auf dem tiefen Gottvertrauen der Menschen, für die am Wohl ihres Viehs oft auch das eigene Überleben hing. Die Infantilisierung der Messe durch Tierpuppen und Teddybären oder „ökumenische Tiergottesdienste“ haben mit den alten Traditionen jedoch nichts zu tun. „Der Erfolg gibt den Kuschel-Christen recht“, könnte man an dieser Stelle einwenden. Immerhin zogen die (Plüsch-)Tiergottesdienste, die häufig unter freiem Himmel stattfinden, in der Vergangenheit oft deutlich über hundert Menschen an, was für heutige Kirchenverhältnisse recht viel ist. 

Wenn der Gottesdienst allerdings zur albernen Folklore verkommt, bei der Mensch, als erklärtes Ebenbild Gottes, nur noch gleichberechtigt mit Chihuahua und Glücksstoffschwein den Segen empfängt, geht dabei jeder wahre Sinn verloren.