© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Wer duldet, muß auch zahlen
Entscheidungen zur Sozialhilfe: Anspruch auf Leistungen bleibt im Kirchenasyl erhalten / Gelder für irreguläre Zuwanderer dürfen nicht gekürzt werden
Mathias Pellack

Asylbewerbern, die sich im offenen Kirchenasyl befinden, steht Sozialhilfe zu, entschied das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt. Die Stadt Frankfurt habe, trotz der unklaren Rechtslage im sogenannten Kirchenasyl, die entsprechenden Leistungen zu gewähren. Personen, die Kirchenasyl erhalten, sind in der Regel als Asylbewerber abgelehnt und nur nicht abgeschoben, sondern geduldet. Die Kirchen meldeten dem deutschen Staat Ende Mai 549 solcher Fälle.

Das Gericht behandelte eine Klage eines Äthiopiers, der 2015 nach Deutschland gekommen war. Sein beantragtes Asyl war abgelehnt worden. Anschließend sollte er in sein Ersteinreiseland innerhalb der EU – in diesem Fall Italien – abgeschoben werden. Dies erfolgte nicht und so beantragte der Äthiopier im Juli 2016 Kirchenasyl bei einer Frankfurter Gemeinde.

Kirchenasyl: Ist das Rechts­mißbrauch?

Die Gemeinde teilte der Ausländerbehörde den Aufenthaltsort des Äthiopiers mit. Anfang 2017 erhielt der Mann dann eine Aufenthaltsgenehmigung und staatliche Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Der Äthiopier beantragte in der Folge im Oktober 2019 die umfangreicheren Sozialhilfeleistungen. Das Gesetz sieht einen Anspruch für alle Menschen in Deutschland vor, die länger als 18 Monate legal und ohne wesentliche Unterbrechung hierzulande leben. Die Stadt Frankfurt lehnte den Antrag ab und begründete ihre Entscheidung damit, daß das Kirchenasyl als „rechtsmißbräuchliches Verhalten“ gewertet werde. Das Landessozialgericht wies nun die Stadt an, dem Mann vorläufig Sozialhilfe zu gewähren, bis über den Widerspruch gegen den Beschluß entschieden sei.

Nach Auffassung des Gerichts stellt das offene Kirchenasyl keinen „Rechtsmißbrauch“ dar, da den Behörden in solchen Fällen der Aufenthaltsort bekannt und eine Abschiebung nicht verboten sei. Offenes Kirchenasyl werde zudem von der Bundesregierung und den Verwaltungsbehörden respektiert und sei nicht mit einem Untertauchen des ausreisepflichtigen Ausländers gleichzusetzen.

„Kirchenasyl“ organisieren die Gemeinden, um eine Abschiebung zu verzögern. Dadurch können Abschiebefristen überschritten werden und ein Aufenthalt quasi „ersessen“ werden. Im deutschen Recht gibt es das Kirchenasyl als Rechtsinstitut nicht. Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München von Mai 2018 schützt Kirchenasyl grundsätzlich nicht vor Strafverfolgung wegen illegalen Aufenthalts in Deutschland.

Das Gericht begründete die Entscheidung im Sinne des Äthiopiers so, daß der Staat einem Ausreisepflichtigen nicht vorwerfen könne, daß er nicht abgeschoben wurde. Es wäre deshalb widersprüchlich, den Aufenthalt zu dulden und dem Betroffenen gleichzeitig den Aufenthalt vorzuwerfen.

Ein weiterer Fall ereignete sich in Nordrhein-Westfalen. Dort hatten zwei irakische Asylbewerber Erfolg mit einer Klage gegen die Aussetzung der Sozialleistungen. Das Bundesland hatte versucht, die Asylbewerber zur Ausreise zu bewegen, indem es die Zahlungen einschränkte. Der Regelsatz beträgt seit diesem Jahr 432 Euro für volljährige Alleinstehende oder Alleinerziehende.

Diesen Versuch ließ das Gericht in Essen mit seiner Entscheidung scheitern. In der Begründung heißt es: „Migrationspolitische Erwägungen können eine geringere Bemessung des Existenzminimums für Ausländer nicht rechtfertigen, da die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativeren ist.“ In dem Urteil von Ende Mai 2020 stellt das Gericht die Leistungen somit unter den Schutz der Verfassung.

Verfassungsmäßig garantierte Zahlungen

Generellen Anspruch auf verschiedene Sozialleistungen haben alle in Deutschland Lebenden, das heißt Asylbewerber, Geduldete genauso wie hiesige Staatsangehörige, um ein „menschenwürdiges Dasein“ führen zu können, wie es im Gesetzestext heißt.

Für Sozialhilfeempfänger gilt laut dem XII. Sozialgesetzbuch aber auch: „Hält ein Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise nicht ein, ist die vereinbarte Vergütung für die Dauer der Pflichtverletzung entsprechend zu kürzen.“ Ist die Staatsangehörigkeit also einmal gewährt, dürfen die Sozialhilfeleistungen durchaus reduziert werden – die Begründung ist dann aber keine migrationpolitische.

Die beiden Iraker sind in Griechenland asylberechtigt, da sie dort ihren Erstantrag gestellt und bewilligt bekommen haben. Ihre Anträge auf Asyl sind in Deutschland abgelehnt worden. Den Migranten steht allerdings noch die Möglichkeit offen, Einspruch gegen ihre Ablehnung einzulegen. Solange wie sie sich wegen dieser Einspruchsfrist berechtigt in Deutschland aufhalten, können die Anspruchsteller weiterhin Sozialleistungen erwarten.