© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Filme jenseits der Tabus des iranischen Gottesstaats
Frei denkende Künstler
(wm)

Der sozialkritische persische Film „Die Kuh“ (1969) hat Politik gemacht. Zunächst, weil er das sich im Glanz westlicher Modernität sonnende Regime von Schah Reza Pahlavi mit der tristen Realität der armen Landbevölkerung kontrastierte und deswegen prompt verboten wurde. Dann, nach der Islamischen Revolution von 1979, verhinderte gerade dieser Film, daß das Kino aus dem Mullah-Staat überhaupt verschwand. Habe doch Ajatollah Khomeni „Die Kuh“ bewundert, weil dessen soziale Botschaft seinem Selbstverständnis entsprach, demzufolge der Umsturz ein religiös legitimierter Aufstand unterdrückter Massen gegen die kapitalistisch-dekadente Herrschaft Reza Pahlavis gewesen sei. Seitdem bemühen sich die Führer der Islamischen Republik, eine Filmindustrie zu schaffen, die mit ihren konservativen Werten vereinbar ist. Was nicht notwendig Gleichschaltung und Zensur bedeutet, wie Marian Brehmer, ein in Istanbul stationierter Beobachter der islamischen Kulturszene zwischen der Türkei und Indien, in seinem Essay über die zweitgrößte Kinoindustrie Asiens hervorhebt (Welt-Sichten, 6/2020). Aus Brehmers Sicht produzieren iranische Regisseure sogar weniger Systemkonformes als ihre unter dem informellen Diktat politischer Korrektheit tätigen europäisch-nordamerikanischen Kollegen. Zwar sei, im Unterschied zum „West-Kino“, Sex, Alkoholgenuß und exzessive Gewalt auf der Leinwand ebenso tabu wie die Präsentation kopftuchloser Frauen. Trotzdem gebe es „frei denkende Künstler“, deren Streifen präzise widerspiegeln dürfen, welche politisch-sozialen Konflikte unter der Oberfläche des Gottesstaates schwelen. 


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