© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 28/20 / 03. Juli 2020

Der Flaneur
Zurückgekehrte Normalität
Paul Leonhard

Der Satz sitzt auch nach mehr als drei Monaten Grenzschließung noch: „Jedno piwo brosche“. Und die Nachfrage der Kellnerin vorweggenommen: „Dusze“. Es ist die Schwarze, die mir das große Bier auf den Tisch knallt. Wie immer mit heruntergezogenen Mundwinkeln, aber immerhin mit einem „Zum Wohl!“ Und noch etwas fällt mir auf: Ihre Haare sind jetzt braun.

Die vielen leeren Stühle zeigen, daß die Gastronomie nur schwerfällig wieder in Schwung kommt. Es war ausreichend Zeit, neue Kneipen zu entdecken. Feierabendbiertrinker sind sensibel, auch wenn nur hier die Abendsonne so schön scheint. Sie wägen ab, zwischen Preis und Service. Zu letzterem gehört auch ein lustiger Spruch oder zumindest ein nettes Lächeln.

Familien zeigen stolz ihren neuesten Nachwuchs, junge Burschen ihre Autos.

Der Stammtisch ist wohl auf halbem Weg über den Grenzfluß in einer gemütlichen Hausbrauerei hängengeblieben. Die gibt es zwar schon seit drei Jahren, aber vor der Grenzschließung hatte es keinen Anlaß gegeben, sie zu erkunden.

Ich sitze allein am Tisch. Für einen lauen Sommerabend ist erstaunlich viel frei, auch in der Pizzeria nebenan. Auf dem Fußweg zieht das wiedererwachte Leben vorbei: Väter präsentieren stolz ihren ganz frischen Nachwuchs. Sie schieben den Kinderwagen, während die Mütter mit den Großmüttern oder Freundinnen ein paar Meter hinterher spazieren. 

Bereits ältere Kinder probieren ihre Roller und Skater aus. Wer noch kein Mädchen abbekommen hat, gibt mit seinem Sportcoupé an. Es sind ausnahmslos Modelle teurer Marken, die vorbeiröhren. Die Cabriobesitzer fahren dagegen Schritt und spähen neugierig zu den Tischen.

Hinter einem vorschriftsgemäß Tempo 20 fahrenden Polizei-Bulli staut sich der Verkehr. Die Uniformierten fahren nahezu parallel zu ihren Kollegen auf der andere Flußseite. In der Lokalzeitung lese ich von Einbrüchen, Diebstählen, Schlägereien. Zwei Ladendiebe wurden gefaßt. Vier betrunkene Schläger wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angezeigt. Alles wie früher. Die Grenze ist offen.