© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Soldaten ohne Rückhalt
Radikaler Umbau des KSK: Die Verteidigungsministerin setzt einen Eliteverband aufs Spiel
Mathias Wegner

Tiefgreifende Änderungen im Kommando Spezialkräfte (KSK) hat Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unter massivem medialem Druck angestoßen. Viel war in der letzten Zeit in deutschen Leitmedien zu lesen über Disziplinlosigkeit und „rechtsextremistisches Verhalten“ bei den Kommandosoldaten. Ausführlich wurde über angeblich bei der Verabschiedungsfeier eines Kompaniechefs 2017 geworfene Schweinsköpfe, Hitlergrüße und „Rechtsrockmusik“ berichtet. Ermittler stießen auf eine „Mauer des Schweigens“ und ein fehlgeleitetes Eliteverständnis. Jüngst fand man auch noch ein Sturmgewehr sowie große Mengen Patronen und Sprengstoff bei einem altgedienten Kommando­feldwebel in Sachsen.

Die Ministerin will ihre „Reset-Maßnahmen“ nicht als Strafe gedeutet wissen. Übungstätigkeit und internationale Kooperationen sowie die Beteiligung des KSK an laufenden Operationen werden dennoch bis auf weiteres ausgesetzt. Die 2. Kompanie der Kommandokräfte wird aufgelöst. Die eigene Ausbildungshoheit wird dem KSK entzogen und truppendienstlich dem Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg, fachlich dem Ausbildungskommando des Heeres übertragen. Führungskräfte sollen sich fortan durch Aufgaben außerhalb der Spezialkräfte sozialisieren.

Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz soll um eine intensivere Prüfstufe erweitert werden, um Extremisten schneller zu identifizieren. Zugleich soll das KSK durch veränderte Öffentlichkeitsarbeit transparenter werden, um mehr gesellschaftliche Wertschätzung für das Kommando zu mobilisieren. Die Botschaft lautet: „Seid froh, daß wir das KSK nicht sofort auflösen“, worüber einige im Berliner Bendlerblock wohl bereits nachgedacht haben. Die Ministerin weist an, die Maßnahmen würden, quasi auf Bewährung, zunächst lediglich bis Ende Oktober umgesetzt, danach würde deren Wirksamkeit überprüft. „Wenn Sie Ihr KSK behalten wollen, müssen Sie es besser machen“, so die Ministerin.

Es ist dieses distanzierende „Sie“, das Bände spricht. AKK, so wird sie bereits offiziell in Internetveröffentlichungen des Verteidigungsministeriums genannt, stellt das Kommando Spezialkräfte damit unter Generalverdacht und zum Gruppenschämen in die Ecke. Sie bricht einen selbstinitiierten Adoptionsvorgang mit einem Wesen ab, das sich nie nach ihrer Inobhutnahme sehnte, dessen Herkunft und Ethos sie nicht versteht, dessen Motivation ihr fremd ist und mit dem sie nichts verbindet als der Eid derer, die ihre Befehle umsetzen müssen. Sie wollte dieses Kind, weil es sein mußte, um den nächsten Karriereschritt gehen zu können – nicht, weil sie auch nur glaubte, es irgendwann liebgewinnen zu können.

Das Kind indes, geboren 1996, ist erwachsen. Seine Genetik geht auf Generationen von Vorfahren zurück, die erlernt und erlebt hatten, was es braucht und wonach der Auftrag verlangt. Ja: Erwachsene sind nicht ohne Tadel. Und ja: Es ist geboten, dienstrechtlich zu ermitteln, wo Verstöße gegen das Soldatengesetz oder das Wehrstrafgesetz vermutet werden. Dabei sind Art und Schwere von Verstößen jedes einzelnen Soldaten jedoch gesondert zu bewerten. Und natürlich muß strafrechtlich ermittelt werden, wenn einzelne oder Gruppen in relevanter Weise in Erscheinung treten.

Aber: Eine Einheit wie das KSK oder die Armee an sich in Sippenhaftung zu nehmen und öffentlich zu demontieren ist verantwortungslos. Was hier versagt, sind vermutlich einzelne Soldaten, aber gesichert deren gesamte politische Leitung. Wen wollen sie denn im Ministerium als Kommando­soldaten oder als „Staatsbürger in Uniform“? Als Einsatzveteran der Kampftruppe mit Führungserfahrung in Afghanistan hat man ein sehr genaues Bild von Eigenschaften und Motivation derer, die die Flagge auf dem Oberarm tragen. Man braucht sich nichts vorzumachen: Der Typus des Durchschnittsbürgers der „Generation Z“, für den Schwarz-Rot-Gold allenfalls bei der Fußball-WM Anlaß für Besinnung auf vaterländische Verbundenheit ist, wird es nicht sein.

Wer heute dient, insbesondere beim KSK, tut dies im Regelfall, um sich zu beweisen und weil er begriffen hat, daß es ihn braucht, sein Talent, seine Kraft, ja: seinen Patriotismus, um dieses Land, seine Bürger und deren Interessen unter Einsatz seines Lebens zu schützen – unabhängig davon, ob diese konkreten Interessen auch seine eigenen sind. Er hat sich vergegenwärtigt, daß er dem einen Souverän, dem Volk, dem Heimatland dient – vertreten durch das Parlament und die Regierung. Er leistet keinen Eid auf einen Kanzler, einen Bundespräsidenten, einen Minister, einen Koalitionsvertrag oder ein Parteiprogramm. Er schwört dem Volke. Der Soldat geht dabei in Vorleistung, im Vertrauen darauf, daß man seinen Werten und Vorstellungen im großen und ganzen Genüge tut. Er weiß jedoch nicht, wofür konkret man ihn künftig einsetzen wird.

Und aus dieser Unsicherheit heraus wird er immer bestrebt sein, Kameradschaft, Schutz, Orientierung und Vergewisserung bei seinesgleichen zu suchen. Das ist seine letzte Bastion. Es weht auch mal ein rauher Wind. Und dort lernt und singt man auch manche unsinnig pauschal als „rechtsextremistisch“ befundenen, tradierten Soldatenlieder, es geschieht gelegentlich kontrolliertes Dampfablassen bei einer Flasche Schnaps, und ja: Dort fliegt auch mal ein Schweinskopf durch die Luft. Aber am nächsten Tag beim morgendlichen Antreten, da ist wieder Dienst Dienst und Schnaps Schnaps. 

So ist das bei Soldaten. Dann ziehen sie wieder los, kämpfen im Gefecht, nehmen Kriegsverbrecher fest und hauen Kameraden im Einsatz raus. Und vielleicht müssen sie eines Tages auch einen von denen rausholen, die gerade zu ihren lautesten Kritikern gehören. Ihnen muß dann, das gebietet der Eid, gleich sein, ob diese sie achten, ihre Traditionen und Werte teilen, ihre Lieder kennen und trauern werden, wenn sie fallen.