© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

... oder kann das weg?
Verdachtsfall: Hat der sächsische Verfassungsschutz illegal Daten über AfD-Abgeordnete gesammelt – und will nun die Spuren verwischen?
Paul Leonhard

Der Wechsel an der Spitze des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz geht mit einem handfesten Grundsatzstreit einher – und hat das Potential zum politischen Skandal. Offenbar ließ Gordian Meyer-Plath, bis Ende Juni Präsident der Behörde, nicht nur Material über zahlreiche AfD-Politiker sammeln, sondern weigerte sich auch über Wochen, dieses auf Verlangen des Innenministeriums zu löschen.

Auf Betreiben des erkennbar empörten Innenministers Roland Wöller (CDU) wurde der unbotmäßige Beamte inzwischen als Referatsleiter „Strukturwandel und Industriekultur, Europa und Internationales“ ins Kulturministerium versetzt. Der Neue an der Spitze des Nachrichtendienstes im Freistaat, Dirk-Martin Christian, soll als erste Amtshandlung nun die Datensammlung seines Amtsvorgängers löschen. Pikant an dieser Personalie: Christian war zuvor Referatsleiter Verfassungs- und Geheimschutz im Innenministerium und damit Leiter der Rechts­auf­sicht über das Landesamt. Und als solcher sah er für das Handeln Meyer-Plaths keine Rechts­grund­la­ge. Der habe „wider­recht­lich Daten über frei gewähl­te Abge­ord­ne­te gespei­chert“, nicht die dafür nötigen „Belege gelie­fert“ und außerdem den erfor­der­li­chen Geneh­mi­gungs­vor­be­halt des Minis­te­ri­ums verletzt, so der Innenminister in einer Stellungnahme. 

Parteichef warnt vor „regelrechter Löschorgie“

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2013 in seiner Entscheidung zugunsten des heutigen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) die Beobachtung eines Abgeordneten durch den Verfassungsschutz als „Eingriff in die Freiheit des Abgeordnetenmandats“ gewertet, der den im Grundgesetz vorgesehenen typischen Kontrollzusammenhang zwischen Legislative und Exekutive umkehre. Die Sammlung und Speicherung von Daten könne „im Einzelfall im Interesse des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechtfertigt sein“, unterliege aber strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen.

Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern hatten auf dieser Grundlage verein­bart, daß Infor­ma­tio­nen über Abge­ord­ne­te gespei­chert werden dürfen, es sei denn, es handele sich um Äuße­run­gen im „geschütz­ten Raum des Parla­ments“, also im unmit­tel­ba­ren Zusam­men­hang mit der parla­men­ta­ri­schen Arbeit der Betreffenden. Medienberichten zufolge ist man demzufolge in den anderen Ländern und vor allem beim Bundesamt alarmiert über den „sächsischen Sonderweg“ und befürchtet die Vernichtung unwiederbringlicher Daten. Dies ist vor allem heikel mit Blick auf die anstehende Entscheidung, ob die Gesamtpartei AfD zu einem Verdachtsfall der Verfassungsschützer eingestuft werden soll oder nicht. Der Landesverband Sachsen spielt dabei keine ganz unwesentliche Rolle. 

Daß ein Minister die Löschung von AfD-Daten anweist, löste wiederum Proteste bei der Linken aus. „Wenn es Anweisungen aus dem Innenministerium gab, verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD nicht zu beobachten, haben wir einen Regierungsskandal“, zitierte die taz die Linken-Politikerin Kerstin Köditz. Behördenleiter Christian hält dagegen: Man könne nicht die Verfassung schützen und selbst Verfassungsbruch begehen. 

Für die AfD kündigte der Bundesvorsitzende und sächsische Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla bereits eine Klage gegen den sächsischen Verfassungsschutz und eine Strafanzeige gegen dessen vormaligen Chef Meyer-Plath an. Bundesvorstandsmitglied Carsten Hütter, Abgeordneter im Dresdner Landtag und für die AfD in der Parlamentarischen Kontrollkommission, empfahl seiner Fraktion, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Landtag zu verlangen, damit der „Skandal der illegalen Ausspähung“ aufgeklärt wird. „Parlamentarier haben vom Gesetzgeber einen besonders geschützten, verfassungsrechtlichen Status. Und die AfD ist eine zutiefst demokratische Partei, deren oberste Ziele die Stärkung der Bürgerrechte und der besondere Schutz des Grundgesetzes ist“, so Hütter. Sein Landesvorsitzender und Abgeordnetenkollege Jörg Urban warnte unterdessen  vor einer „regelrechten Lösch-Orgie im sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz“. Um nachvollziehen zu können, „welche Abgeordneten betroffen sind, mit welchen Methoden sie bespitzelt wurden und welche Äußerungen in die illegale Datensammlung aufgenommen wurden“, dürfe die Behörde nichts schreddern.

Verfas­sungs­schutz­chef Christian erklär­te inzwischen, vor einer Löschung alle Daten von juris­ti­schen Exper­ten bis nach der Sommer­pau­se über­prü­fen zu lassen.