© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Schleppers Werk und Seebrückes Beitrag
„Flüchtlingshilfe“: Wie ein Netzwerk von Vereinen dazu beiträgt, Einwanderer illegal nach Deutschland zu schleusen / Teil 2 der Reportage
Hinrich Rohbohm

Eigentlich möchte er über die Zeit seiner Reise gar nicht mehr so viele Worte verlieren. Ephrem spricht mit tiefer, aber sanfter Stimme. Wir treffen ihn am Hamburger Hauptbahnhof. Gerade hat er hier bei Western Union eine Überweisung in die Heimat getätigt. 100 Euro. Erst fünf Monate ist es her, daß er seine Heimatstadt Yaoundé in Kamerun verlassen hatte. Durch den Niger, Libyen und Tunesien ist er dann per Schlauchboot über die zentrale Mittelmeerroute der Migranten nach Europa gelangt. Danach wie viele andere durch Italien und Österreich nach Deutschland.

Wir sitzen in einem Fast-Food-Restaurant. „Ungesund“, sagt Ephrem. Er lacht und erzählt, daß man in seiner Heimat eher „bitteres Essen“ bevorzuge. Der 29jährige spricht Französisch, beherrscht aber auch gut die englische Sprache, die er in Kamerun studiert und dann selbst unterrichtet habe, als er, wie er sagt, einige Zeit als Lehrer gearbeitet habe. Bis er sich vor knapp fünf Monaten auf den Weg nach Deutschland machte. Auf die Frage nach dem Warum bleibt er auch nach mehrmaligem Nachhaken bei Allgemeinfloskeln. „In Kamerun gibt es sehr viele Probleme“, sagt er stets. Politisch verfolgt wurde er jedenfalls nicht.

Es sind die Nebensätze in seinen Reiseschilderungen, die Ephrem für uns interessant machen. Viele hatten gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bereits von Helfern auf ihrem Weg durch Afrika und über das Mittelmeer gesprochen. Wenige jedoch wurden so konkret wie Ephrem. Denn auf unsere Frage ins Blaue, ob auch er eine Kontaktnummer für Notsituationen erhalten hatte, nickt er plötzlich.

Drehkreuz für Migration und Menschenhandel 

„Es gab da eine Telefonnummer, die wir dann anrufen sollten“, erzählt er. „Die ging überall durch die sozialen Medien. Jeder hatte sie dann irgendeinem Freund oder Bekannten weitergeschickt, damit der informiert ist“, schildert der Kameruner. Etwa ein Kontaktmann der Schleusermafia?

Ephrem zückt sein Mobiltelefon, ruft zu unserer Überraschung eine alte WhatsApp-Nachricht eines Bekannten auf. Er zeigt sie nur wenige Sekunden. Doch es reicht, um sich die darin hervorstechende Nummer zu merken und im eigenen Handy zu notieren. Ephrem sieht es, wird mißtrauisch. „Was schreibst du da?“ fragt er. Der Kameruner weiß nicht, daß er mit der Presse spricht. Das Treffen erfolgte „undercover“. Wir hatten uns ihm gegenüber als Vertreter einer privaten Bürgerinitiative ausgegeben, die Einwanderern organisatorisch und finanziell bei der Integration in Deutschland unterstützt. Ephrem wirkte interessiert und biß an. Der Hinweis, nur auf eine Nachricht geantwortet zu haben, überzeugt ihn zwar nicht unbedingt, aber es beunruhigt ihn auch nicht weiter. Die Ländervorwahl der Nummer ist später schnell ergoogelt. Sie stammt aus dem Niger. Ephrems Route führte durch dieses Land. Unter anderem durch die Stadt Agadez, wie er erzählt. Die 120.000 Einwohner-Metropole befindet sich in der nördlichen Sahelzone und gilt als Drehkreuz für Menschenhandel und Migration von Westafrika nach Libyen und Europa. Die Migranten wickeln hier ihre Geschäfte mit Schleusern ab. Sie schmieren Polizisten, bezahlen Bus- und Lkw-Fahrer, die von Agadez aus zur Durchquerung der Sahara starten. Der Transport von Migranten in Richtung libyscher Mittelmeerküste hat sich für die Stadt zur Haupteinnahmequelle entwickelt.

Unterdessen spuckt die Suchmaschine noch eine andere Information zu der von Ephrem gezeigten Nummer aus: Die Internetseite „alarmephonesahara.info“. Dort ist sie neben einer weiteren als Notfallkontakt angegeben.

Wer verbirgt sich hinter Alarmphone Sahara? Ein Impressum weist die Seite nicht auf. Dafür enthält sie jedoch einen anderen Hinweis: Das Büro der Organisation befindet sich ebenfalls in Agadez. Von hier aus und über die Notfallnummern nehmen Migranten Kontakt zu der Organsiation auf, die dann Hilfe dabei leistet, daß die Migranten weiter nach Norden gelangen und gegebenenfalls sogar bei Verhandlungen mit den Schleppern vermittelt.

Weitere Recherchen über das Projekt ergeben, daß Alarmphone Sahara zu den Kooperationspartnern des Vereins Forschungsgesellschaft Flucht und Migration gehört. Und dessen Büro wiederum befindet sich an einer für die linke Szene in Deutschland nicht ganz unbekannten Adresse: Mehringhof, Gneisenaustraße 2a in Berlin.

Eine Anschrift, hinter der sich ein Zentrum der sogenannten linksautonomen Szene verbirgt und in dem diverse linksradikale Organisationen ihren Sitz haben. Etwa das Antifaschistische Infoblatt, der bereits mehrfach vom Bundeskriminalamt durchsuchte Buchladen Schwarze Risse oder die Zeitschrift Interim. Sie gilt als eine der wichtigsten Kommunikationsplattformen der autonomen Szene, über die sich die ersten Antifa-Gruppen organisiert hatten und die die durch zahlreiche Brandanschläge bekannt gewordene „militante Gruppe“ für seine Debatten genutzt hatte. Der Verfassungsschutz des Landes Nord-rhein-Westfalen bezeichnete die Zeitschrift als „prägendes Sprachrohr der militanten Szene“, das „unverhohlene Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten“ enthalte.

Notrufnummer fördert das Geschäft der Schlepper

Die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration ist zudem Kooperationspartner eines weiteren Alarmphone-Projekts, das sich auf das Mittelmeer konzentriert. Werden Migranten mit zumeist nicht seetauglichen Schlauchbooten von den Schleppern auf das offene Meer geschickt, können deren Insassen eine französische Telefonnummer von Alarmphone als eine Art Hotline benutzen, um ihre Position durchzugeben. Die Alarmphone-Mitarbeiter verständigen daraufhin die Küstenwache des jeweils zuständigen Landes oder in der Nähe befindliche Schiffe mit der Aufforderung, die Migranten zu „retten“. Da in einer solchen Situation jeder rechtlich zur Hilfe verpflichtet ist, können die Alarmphone-Mitarbeiter die jeweiligen Schiffe als eine Art Shuttle-Service auf dem Weg nach Europa benutzen. Auch Ephrem gelangte auf diese Weise nach Italien. „Wir hatten da ebenfalls eine Nummer für Hilfe bekommen, die wir dann später im Boot angerufen haben.“ Welche Nummer das war, daran kann sich der 29jährige nicht mehr erinnern. Er bestätigt jedoch: „Es kam dann ein Schiff der Küstenwache, das uns aufgenommen hatte.“

Vor allem seit Italien den Schiffen der NGOs die Einfahrt in ihre Häfen aufgrund des Verdachts der Beihilfe zum Einschleusen von Migranten untersagte, ist Alarmphone zusehends in eine Art Ersatzrolle für Sea Eye, Sea Watch, Mission Lifeline und Co. geschlüpft. Die Fäden der Alarmphone-Projekte laufen bei einer Online-Plattform namens „Watch the Med“ zusammen. Die wiederum durch Pro Asyl und durch die von linken Stiftungen finanzierte DO-Stiftung gefördert wird. Letztere wurde von der Feministin und Antikapitalistin Miriam Edding ins Leben gerufen. Die Millionärstochter nutzte dafür vor allem das geerbte Vermögen ihres Vaters. Sie ist es auch gewesen, die Watch the Med und Alarmphone initiiert hatte.

Sind die Migranten erst einmal in Europa, kommt das vom Verein „Mensch Mensch Mensch“ (JF 28/20) getragene Bündnis Seebrücke ins Spiel, das von mehr als 70 verschiedenen Organisationen unterstützt wird. Neben der Forderung nach „sicheren Fluchtwegen“ und einer „Entkriminalisierung der Seenotrettung“ übt das Bündnis in Deutschland Druck auf Städte und Gemeinden aus, per Ratsbeschluß zusätzliche Migranten bei sich aufzunehmen.

Auf diese Weise umgeht das Bündnis mögliche Kontingentregelungen der Bundesebene, die dennoch den Großteil der Kosten für die aufgenommenen Einwanderer übernehmen muß. Wodurch Mehrkosten für die Kommunen eher gering ausfallen und somit auch die Hemmschwelle für Städte und Gemeinden gegenüber einer zusätzlichen Aufnahme sinkt. 

Ephrem bekommt heute regelmäßig vom deutschen Staat seinen Lebensunterhalt überwiesen. „Einen Teil davon schicke ich natürlich zu meiner Familie nach Afrika.“ So wie die 100 Euro dieses Mal. Er hoffe, daß seine Frau und seine drei Kinder schon bald zu ihm nach Deutschland kommen können, meint er, greift den Strohhalm seiner Cola und nimmt erstmal einen kräftigen Schluck.