© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

„Neue Talente mit unterschiedlichem Hintergrund“
Frankreich: Präsident Macron bildet Kabinett um / Bürgerlicher Spitzenbeamter Castex wird neuer Ministerpräsident
Friedrich-Thorsten Müller

Die Spatzen hatten es in Paris seit Wochen von den Dächern gepfiffen: Staatspräsident Emmanuel Macron trennt sich von seinem beliebten Ministerpräsidenten Édouard Philippe. Ursprünglich wollte der 49jährige bürgerliche Politiker in Le Havre, wo er von 2010 bis 2017 Bürgermeister war, nur als Zugpferd für die Kommunalwahlen kandidieren. Daß Philippe in der Hafenstadt am Ärmelkanal bei der Stichwahl am 28. Juni mit fast 60 Prozent der Stimmen gewählt wurde, war für Macron zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl in Frankreich eine einmalige Chance für einen Neustart.

Schließlich kann er so einen potentiellen Rivalen um die nächste Präsidentschaft ohne Gesichtsverlust und Schaden für das eigene Ansehen aus der Landespolitik ziehen lassen. Macrons 2016 gegründete eigene Präsidentenpartei „La République en Marche!“ (LaREM) hatte bei den Kommunalwahlen eine herbe Schlappe erlitten: Allein angetretene Kandidaten und Listen kamen schon in der ersten Wahlrunde am 15. März nur auf 1,67 Prozent. Nur in Wahlbündnissen mit kommunal verwurzelten Bürgerlichen hatten sie eine Chance.

In den Städten mit über 100.000 Einwohnern sind LaREM-Politiker als Bürgermeister nun überhaupt nicht mehr vertreten – Sozialisten (PS) und Bürgerliche (Les Républicains/LR) machten das Rennen oft unter sich aus. Sieben Städte – darunter Lyon und Straßburg – verzeichneten Grünen-Wahlsiege. Selbst ein Kommunist (Patrice Bessac in Montreuil bei Paris) und ein Rechter (Louis Aliot vom Rassemblement National/RN im südwestfranzösischen Perpignan) waren erfolgreicher. Hinzu kam interne Kritik, sogar durch den sonst loyalen Präsidenten der Nationalversammlung, Richard Ferrand, einen früheren PS-Politiker.

 Reformen gegen die Menschen durchgesetzt

Macron war also nicht nur durch die Corona-Krise unter Zugzwang geraten. Neuer Premierminister wurde am 3. Juli nun der 55jährige Spitzenbeamte Jean Castex, der bis dahin noch LR-Mitglied war und als geschickter Organisator der Corona-Lockerungen („Monsieur déconfinement“) in Erscheinung getreten ist. Darüber hinaus leitete Castex seit 2017 die Vorbereitungen für die Olympischen Sommerspiele in Paris 2024. Wie Philippe vor seinem Amtsantritt 2017, ist Castex sonst bisher weitgehend unbekannt, kommt von der Kaderschmiede Ena und fristete bei der Oppositionspartei LR ein Schattendasein.

RN-Chefin Marine Le Pen verspottete ihn daher sogleich als „Philippe-Double“ – nur ohne dessen Popularität. Bei den Kommunalwahlen war Castex allerdings erneut als Bürgermeister der französisch-katalanischen 6.100-Einwohner-Kommune Prada (Prades), unweit der spanischen Grenze, wiedergewählt worden. Castex gilt als glänzender Kommunikator und – ganz Rugby-Fan – als absoluter Teamplayer.

Des weiteren ist Castex auch ein Vertrauter von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy (2007 bis 2012), dessen Generalsekretär im Präsidentenamt er im letzten Amtsjahr war. Nach den 2018 entflammten Protesten der Gelbwestenbewegung soll Castex vor allem auch für ein neues Verhältnis zum ländlichen Frankreich stehen. Schließlich räumte der Ex-Sozialist Macron nun reumütig ein, „den Dialog vernachlässigt“ und den Eindruck vermittelt zu haben, „Reformen gegen die Menschen durchsetzen zu wollen“. Drastisch höhere Benzin- und Dieselpreise oder eine Reduzierung der Autobahnhöchstgeschwindigkeit von 130 auf 110 Stundenkilometer wird es wohl nicht geben.

Die Regierungsumbildung soll laut Macron „einen neuen Weg aus der Krise“ weisen, aber trotz der grün-linken Wahlerfolge bei der Kommunalwahl „keine 180-Grad-Wende“ darstellen, wie er der Regionalpresse gegenüber äußerte. Wichtige Schlüsselpositionen im Kabinett bleiben unverändert: Wirtschafts- und Finanzminister bleibt Bruno Le Maire, der unter Sarkozy von 2009 bis 2012 schon Agrarminister war.

Das Außenministerium führt weiter Jean-Yves Le Drian, einst Verteidigungsminister unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande (2012 bis 2017). Auch Verteidigungsministerin Florence Parly, von 2000 bis 2004 sozialistische Staatssekretärin im Haushaltsministerium und danach Spitzen­managerin bei Air France und der Staatsbahn SNCF, behält ihren Posten.

Der 37jährige Gérald Moussa Darmanin wechselt hingegen vom Haushalts- ins Innenministerium und löst dort Christophe Castaner ab – einen Ex-Sozialisten und bis 2018 Parteichef von Macrons LaREM. Darmanin war bis 2017 LR-Vizegeneralsekretär, der nun ehemaligen Partei des neuen Premiers Castex. Das Umweltministerium wird mit einer ehemaligen Grünen-Politikerin besetzt: Die 45jährige Barbara Pompili war unter François Hollande Staatssekretärin für Klima und für Biodiversität. Insgesamt soll das neue Kabinett aus 14 Männern und 17 Frauen bestehen, die Castex als „neue Talente“ und „Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Hintergrund“ ankündigte.

 www.gouvernement.fr

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