© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Streit um Fanggründe hält an
Quotenquärelen: Brexit-Verhandlungen / Nord- und Ostseefischerei 30 Jahre nach der Wiedervereinigung
Paul Leonhard

Welche Macht haben britische Fischer? Wird eine entscheidende Schlacht um die Zukunft des Empires und Kontinentaleuropas mal wieder auf See entschieden? Mit Blick auf Brüssel kommt dieser Verdacht auf, wo weiter hart – und ergebnislos –über ein Handels- und Partnerschaftsabkommen gestritten wird, das nach dem Brexit die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich regeln soll. Bis 30. Juni sollte dabei eine Einigung zum Thema Fischereirechte stehen – die gibt es nicht. Mehr noch: Die vereinbarte Frist, bis dahin eine Verlängerung der Austrittsverhandlungen um zwei Jahre zu ermöglichen, ist gleichzeitig ebenfalls verstrichen.

Bei dem Fangquoten-Streit geht es darum, wie viele Fischer aus der EU künftig in den ertragreichen britischen Gewässern fangen dürfen, ob sich die britischen Fischer noch an die restriktiven EU-Fangquoten halten werden und zu welchen Bedingungen sie ihren Fang auf den Kontinent verkaufen dürfen. Bisher waren das mehr als 80 Prozent. Gleichzeitig spielt Boris Johnson die nationale Karte, indem der Premierminister die alleinige Kontrolle des Königreiches über seine maritime Wirtschaftszone verlangt. Damit kommt ein Problem auf den Tisch, das bisher durch die EU-Zugehörigkeit gedeckelt werden konnte: die in den 1970er Jahren erfolgte Ausweitung „ausschließlicher Wirtschaftszonen“ auf 200 Seemeilen um die Küsten.

Eine Regelung, die damals zu starken Spannungen innerhalb der damaligen EWG geführt hatte, weil viele Fischer plötzlich von ihren traditionellen Fanggebieten ausgesperrt waren. Johnsons wichtigstes Argument: EU-Fangschiffe fischen sechsmal soviel in britischen Gewässern wie die eigenen. Andererseits verkauft Großbritannien jährlich Fisch für rund 1,79 Milliarden Euro und den Großteil davon in die EU. Rechnet sich das noch, wenn das Land keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt mehr hat und Zölle bezahlen muß?

Einen Vorgeschmack auf einen Brexit ohne Vertrag bekamen die Fischer, als wegen der Corona-Pandemie Hotels und Restaurants schließen mußten. Die Fischer hatten nur die Wahl, ihren Fang einzufrieren oder ihre Schiffe im Hafen liegen zu lassen. „Die aktuellen Probleme mit der Corona-Krise haben gezeigt, wie abhängig die britische Fischereiindustie wirklich vom Handel mit Europa ist“, zitiert die Deutsche Welle den Fischereifachmann Bryce Beukers-Stewart von der University of York.

Die EU-Unterhändler wissen das, und sie werden diese Trumpfkarte nicht leichtfertig aus der Hand geben. Sie setzen weiter auf eine Paketlösung. Kompromißbereitschaft von London fordert daher der küstenferne CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber: „Es kann nicht sein, daß tagelang über Details der Fischereiabkommen gebrütet wird, die Finanzstabilität aber keine Rolle spielt.“ Die britische Fischerei-Industrie macht ihrerseits Druck. Fragen rund um den Fischfang hätten nichts mit Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU zu tun.

Bestände schrumpfen durch Entnahme und Schmutz

Typisch britisch ist eine Idee, die aus der Krise führen soll: Die „#SeaForYourself“-Kampagne soll dafür sorgen, daß die Inselbewohner ihre Gewohnheit aufgeben, tiefgefrorenen Kabeljau, Schellfisch, Thunfisch, Lachs und Garnelen aus der Dritten Welt zu kaufen. Britischer Fisch gehöre auf britische Teller, fordert Mike Park, Vorsitzender der Scottish White Fish Producers Association (SWFPA). Dazu müsse man den Bürgern aber beibringen, wie man den Fisch zubereitet und erläutern, welche gesundheitlichen Vorzüge frischer Fisch hat.

Die deutschen Fischer interessieren die britischen Probleme wenig. Sie haben eigene und die hängen mit der EU und den immer niedriger ausfallenden Fangquoten zusammen. Bei westlichem Hering, dem für Deutschland wichtigsten Ostseefisch, wurde die erlaubte Fangmenge um 65 Prozent gesenkt, bei westlichem Dorsch um 60 Prozent. In der östlichen Ostsee darf Dorsch nur als Beifang gefischt werden. Selbst Freizeitfischer wurden gesetzlich beschränkt. Sie dürfen nur fünf Exemplare an Land holen, im Februar und März nur zwei. Umweltschützer verweisen auf steigende Wassertemperaturen und sinkende Sauerstoffkonzentration. Sie verlangen ein komplettes Fangverbot.

Hintergrund ist der drastische Rückgang der Bestände wegen Überfischung, aber auch wegen der Verschmutzung des Meeres durch Industrie und Landwirtschaft. Ein Problem, für das die EU keine gemeinsame Lösung gefunden hat. Von den gesunkenen Quoten sind in Deutschland 206 Haupterwerbsfischer in Schleswig-Holstein und 237 in Mecklenburg-Vorpommern betroffen. Deren Zahl dürfte weiter sinken, zumal die EU mit Prämien Fischer umgarnt, die ihre Schiffe endgültig stillegen (JF 20/20). Auch die Rügen Fisch AG könnte temporär Rohstoffprobleme bekommen. Das ehemalige Rostocker Fischereikombinat der DDR, ist mit Standorten in Saßnitz, Lübeck-Schlutup, Rostock und Crottingen (Kretinga, Litauen) größter deutscher Hersteller von Fischkonserven, die unter den Marken „Rügen Fisch“, „Rügen Krone“, „Ostsee-Fisch“ und „Saßnitzfisch“ vertrieben werden. Arbeitsplatzprobleme könnten folgen: Die seit 2015 mehrheitlich der asiatischen Thai Union gehörende Fischfirma wird dann wohl „globalisiert“ werden.

Wer sich heute jenes Foto der jungen Angela Merkel vom 2. November 1990 ansieht, die bei fünf schweigenden und vor sich hin starrenden Ostsee-Fischern in einer Hütte in Lobbe/Rügen sitzt, bekommt irgendwie den Verdacht, alle auf dem Bild hätten diese Entwicklung irgendwie geahnt. Die damals 36jährige hat damals ihr Bundestagsmandat gewonnen und Karriere gemacht, die Fischer sind auf der Strecke geblieben. Und dabei, so erinnerte sich einer der Männer Jahre später, habe die schweigende spätere Kanzlerin „den Eindruck gemacht, als wenn sie uns verstehen würde“.