© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 29/20 / 10. Juli 2020

Die Konkursverwalter
Vor dreißig Jahren konstituierte sich die Treuhandanstalt zur Privatisierung der DDR-Wirtschaft
Markus Brandstetter

Ereignisse und Institutionen der Geschichte gerinnen, wenn sie groß, wichtig und umstritten sind, gerne zu Mythen. Das war beim Trojanischen Krieg so, das passierte beim Untergang des Burgunderreiches zur Zeit der Völkerwanderung, und das geschah in jüngster Zeit beim Untergang der DDR und der Privatisierung der Reste ihrer gescheiterten Kommandowirtschaft. 

Diese Privatisierung wurde von der Treuhandanstalt abgewickelt, einer eigens dafür gegründeten Behörde, die eine Zeitlang das größte Unternehmen der Welt war. Während die Mythen der Antike von kühnen Helden und ihren großen Taten erzählen, ist bei den Mythen, die von einer Handvoll Publizisten seit dreißig Jahren um die Treuhand gesponnen werden, das Gegenteil der Fall: Da geht es um Betrug, Verrat und Zerstörung, und die Mitarbeiter der Treuhandanstalt sind keine Helden, sondern Gauner.

In Zeitungsberichten und den populären Büchern vieler Journalisten kommen die Treuhand und die Privatisierung der DDR-Betriebe seit den neunziger Jahren extrem schlecht weg. Ihr Fazit lautet: So gut wie alles wurde falsch gemacht, und zwar mit voller Absicht. Die Stuttgarter Zeitung nannte die Treuhand einen „Hort der Verderbnis“, der Spiegel eine „Haß-Behörde“ und Die Zeit ein „unzähmbares Ungeheuer“.

Die Titel vieler Bücher vieler Populär-Journalisten gehen in dieselbe Richtung. Der ehemalige Stern-Redakteur Michael Jürgs, von Anfang an ein fanatischer Gegner der deutschen Einheit, nannte seinen Beitrag: „Die Treuhändler. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften“, für Heinz Suhr wurde „Ostdeutschland geschlachtet“, für Otto Köhler wurden „die Menschen enteignet und die Wirtschaft im Osten liquidiert“, für Klaus Huhn wurde sie „geplündert“, für Olaf Baale „verhökert“, und für Dirk Laabs waren die Jahre zwischen 1990 und 1994 selbst 2012 noch ein „Goldrausch“ – für die Wessis versteht sich. Volkswirte und Historiker kamen in ausführlichen und gründlichen Studien zu einem deutlich positiveren Ergebnis, aber davon wurde in den Medien nie berichtet, weshalb sich in den Köpfen der Deutschen, hüben wie drüben, hartnäckig der Eindruck festgesetzt hat, die Treuhand sei eine kriminelle Mafiabehörde gewesen.

Heute, exakt dreißig Jahre nach der Konstituierung am 16. Juli 1990 der bereits im März noch auf Initiative der Regierung des SED/PDS-Politikers Hans Modrow ins Leben gerufen wurde, und fast ein Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung, stellt sich die Frage: Sind diese Vorwürfe gerechtfertigt? Oder war es eigentlich ganz anders? Wenn es aber anders war, warum wird die Treuhand dann so hartnäckig in ein schlechtes Licht gerückt?

Linke Hypothesen von einer überlebensfähigen DDR

Beginnen wir mit der Hypothese, die von den Kritikern der Treuhand immer treuherzig vorgebracht wird und die so geht: Die DDR-Wirtschaft wäre, hätte man ihr Zeit, Spielraum und Kredite gegeben und sie nicht hastig privatisiert, durchaus überlebensfähig gewesen. Auf diese Hypothese folgt dann stets eine zweite, die lautet: Im Osten hätte eine von den schlimmsten Auswüchsen der Planwirtschaft befreite sozialistische Wirtschaft durchaus eine Chance gehabt, was irgendwann zu einem Mix aus kapitalistischer und sozialistischer Wirtschaft auf deutschem Boden geführt hätte, was den Ostdeutschen ihre Würde gelassen und allen Deutschen eine bessere, weil gleichere, weil sozialistischere Wirtschaft gebracht hätte. 

Es wird keinen verwundern, daß die Proponenten beider Thesen inmitten der SPD und der Grünen zu finden waren und sind, während die damals noch konservative CDU und die FDP eine rasche Privatisierung der Staatsunternehmen in der Ex-DDR und die Einführung der Marktwirtschaft forderten, um einen Massenexodus in den Westen auszubremsen. Diese beiden Hypothesen – und nicht die Skandale und Betrügereien, die es bei der Arbeit der Treuhand natürlich gab – sind der wahre Grund für die ätzende Kritik an der Treuhand, ja an der ganzen Wiedervereinigung.

Wer allerdings die Arbeit einer demokratisch legitimierten Institution wie der Treuhand, für deren Schaffung am 17. Juni 1990 extra ein Gesetz im Parlament der DDR verabschiedet wurde, so dermaßen vernichtend kritisiert, der muß sich erstens fragen lassen: Was wären denn die Alternative zur Treuhand gewesen? Und zweitens: Hätte diese Alternative eine Chance gehabt? Hätten die meisten DDR-Unternehmen auch in einer Wettbewerbswirtschaft überleben können? Wäre eine gemischt sozialistisch-kapitalistische Wirtschaft in einem Land möglich gewesen?

Die Antworten fallen eigentlich eindeutig aus: Die allerwenigsten DDR-Staatsbetriebe hätten sich auf dem freien Markt behaupten können. Erschwerend kam für viele Betriebe hinzu, daß auch die Absatzmärkte in den früheren sozialistischen Bruderländern 1990 vollends zusammengebrochen waren. Und selbst die Binnennachfrage besonders im Konsumgüterbereich geriet in den neuen Bundesländern Anfang der neunziger Jahre gewaltig ins Schlingern, weil die Verbraucher zwischen Ahlbeck und Suhl massenhaft Westprodukte in ihren Warenkorb legten, die bunte Granini-Flasche stach den Havelländer Apfelsaft aus. Wie schwierig die Überführung eines Industriekombinates der früheren DDR in ein modernes, überlebensfähiges Industrieunternehmen war, läßt sich gut am Beispiel der Jenoptik AG zeigen, der Nachfolgerin des Kombinats VEB Carl Zeiss in Jena. Die Rettung dieses einstigen Weltunternehmens, in der DDR vollkommen heruntergewirtschaftet, gelang nur, weil mit Lothar Späth ein früherer Ministerpräsident von Baden-Württemberg 1991 die Unternehmensleitung übernahm, der, anders als Roland Koch später bei Bilfinger Berger, tatsächlich etwas von Management verstand und in Unternehmer- und Bankenkreisen auch noch bestens vernetzt war, also Kredite und Subventionen besorgen konnte. Die Annahme, daß die 8.000 von der Treuhand privatisierten Kombinate es ohne frisches Kapital, Bankkredite und Management-Know-how aus dem Westen von ganz allein und auch noch unter alter Leitung geschafft hätten, ist vollkommen weltfremd.

Falsche Fakten und historische Unwahrheiten

Damit bricht aber auch die zweite Hypothese in sich zusammen: Eine halb sozialistische, halb kapitalistische Wirtschaft hätte in einem Land mit einer Währung und einem freien Markt nie existieren können, denn ein bißchen kapitalistisch geht nicht. Nein, ohne die schnelle und logischerweise schmerzhafte Privatisierung und teilweise Schließung der DDR-Betriebe wäre im Osten ein deutscher Mezzogiorno entstanden, der, arm und unterentwickelt, ewig am Tropf des Westens gehangen hätte.

Es ist die Zerstörung dieser sozialistischen Blütenträume, die Journalisten – fast ausschließlich aus dem Westen – so maßlos verärgert hat, daß sie, kaum war die Treuhand gegründet, begannen, diese wütend zu kritisieren, was ihre Bücher und Artikel unfair, faktisch falsch und historisch unwahr macht.

Diese schlechte Presse verstellt den Blick auf eine historische Wahrheit, die anders aussieht und von Historikern auch so erkannt wurde. Beispielsweise hat Gerhard A. Ritter 2009 in seiner Geschichte der deutschen Einheit unumwunden zugeben, daß es zu „Fehlern und Fehleinschätzungen“ gekommen sei. Er stellt aber auch fest, daß in der DDR „keine realistische Alternative zur Übernahme der bundesdeutschen Normen, Institutionen und Akteure“ bestanden habe.